Hier ist mein Take als Zukunftsforscher zur „Modernisierungsagenda für Staat und Verwaltung (Bund)“ vom 1.10.2025 – mit Blick auf KI, Nachhaltigkeit und Arbeitsmarkt:

Erst die Lücken – ist das Doppelmoral?

Wir reden über eine Staatsreform (Link führt zum Originaldokument), die Prozesse beschleunigt, Behörden verschlankt und digitalisiert. Gut so. Aber Klimaschutz, Biodiversität und Ressourcenwende tauchen praktisch nicht auf. Eine Modernisierung ohne Klima- und Nachhaltigkeitsleitplanken ist 2025 nicht „neutral“, sie ist rückständig. Der IPCC hält fest: Das 1,5-Grad-Fenster schließt sich rapide, in Europa ist der Drops schon gelutscht – ohne strukturelle Beschleunigung der Emissionsminderung in allen Politikbereichen verlieren wir das Jahrzehnt. (IPCC)

Gleichzeitig werden Berichtspflichten und Standards zur unternehmerischen Sorgfalt teils aus „Bürokratiegründen“ aufgeweicht. Wer Nachhaltigkeitsregulierung als Primärziel „entrümpelt“, betreibt kurzsichtige Kostendämpfung auf Kosten der Zukunftsfähigkeit. Das hat die Debatte um Änderungen beim Lieferkettengesetz eindrücklich gezeigt. (WirtschaftsWoche)

Und die soziale Frage? Die Agenda erleichtert den Zugang zu Leistungen – fair. Aber strukturelle Ungleichheit adressiert sie nicht. Parallel meldet die Bundesregierung im SDG-Bericht Fortschritte, während zentrale Umwelt- und Verteilungsziele wackeln. Klingt nach Zielbild „Nachhaltigkeit“, aber ohne verbindliche Übersetzung in die Staatsmodernisierung. (sdg-indikatoren.de)

Was wurde aus „große Vermögen stärker besteuern“?

Die SPD hat vor der Wahl deutlich höhere Beiträge sehr großer Vermögen gefordert. In der Regierungsrealität dominiert nun Sparen + Entlasten, Vermögensabgaben/-steuern tauchen im Vollzug nicht prominent auf. Das sendet ein widersprüchliches Signal: Digitalisierung & Bürokratieabbau ja – aber faire Gegenfinanzierung der Transformation? Noch offen. (vorwärts)

Wo die Agenda stark ist

  • Bürokratieabbau & Service: −25 % Bürokratiekosten, OITO-Regel („one-in-two-out“), 24-Stunden-Gründungen, zentrales KfZ-Portal, Digitalausweise – das entlastet Bürger:innen & Mittelstand spürbar. Das ist Standortpolitik pur. Wir müssen uns im internationalen Wettbewerb endlich wieder behaupten, „made in Germany“ groß machen, so wie es im PROFORE-Whitepaper zur Industrie 6.0 beschrieben wird.
  • Bessere Rechtsetzung: Praxis- & Digitalchecks, Law-as-Code-Piloten – wenn richtig umgesetzt, sind das echte Produktivitätshebel im Staat. Liebe Jurist:innen: Das ist ein Paradigmenwechsel, ja. Aber wir brauchen ihn.
  • Personal & Führung: Modernisiertes Dienstrecht, Frauen in Führung, Skills für KI-Verwaltung – wichtig für den Arbeitsmarkt im Staat, der mit der Privatwirtschaft um Talente konkurriert. So beschreibe ich es als Zielbild in meinen Keynotes… als Utopie.

OECD & Wirtschaftsräte sagen seit Jahren: Produktivität in Deutschland leidet unter komplexer Regulierung – hier liefert die Agenda. Aber: Ohne Mission Klima & Nachhaltigkeit bleibt der Effizienzgewinn politisch unterkomplex. (OECD) Die KPIs klingen gut, wir dürfen bespannt sein, ob die politische und administrative Haltung dazu mithalten kann.

KI: Chance, wenn wir sie verantwortungsvoll skalieren

Die Agenda schafft Rechtsgrundlagen für vollautomatisierte Verwaltungsakte, KI-Piloten in Visa- & Justizprozessen und agentische KI in Fachressorts. Super – wenn drei Dinge mitlaufen:

  1. Transparenz & Nachvollziehbarkeit (Audit-Trails, erklärbare Modelle),
  2. robuste Daten- & IT-Souveränität (Cloud/Edge, RZ-Konsolidierung, EUDI-Wallet-Kompatibilität),
  3. Kompetenzaufbau bei Führung & Teams. Das passt zur OECD-Linie: KI-Skalierung braucht Governance & Skills – sonst exportieren wir analoge Ineffizienzen in digitale Hochgeschwindigkeit. (ki-strategie-deutschland.de)

Arbeitsmarkt: Produktivität + Resilienz – oder Massensterben 2.0?

Ich habe in den 2010ern und 2020ern Dinge prognostiziert, die mir wenig Freunde machten: Pandemie, Krieg in Europa, Massensterben von Unternehmen in den 2020ern – alles eingetreten. Die nächsten Jahre entscheiden, ob uns eine Pleiten-Welle 2.0 trifft oder ob wir dank KI-Produktivitätssprüngen & schlanker Regulierung neue Wachstumsinseln schaffen.

Die Agenda reduziert Transaktionskosten – gut. Aber ohne aktive Transformationsfinanzierung (z. B. steuerliche F&E-Anreize, präzise Investitionspfade für Dekarbonisierung) und Weiterbildungs-Offensive drohen Effizienzgewinne von KI am Fachkräftedefizit zu verpuffen. Die OECD mahnt genau das: Produktivität, Qualifikationen, Investitionsklima. (OECD)

Konstruktive Forderungen (damit Modernisierung ≠ Greenwashing light wird)

  1. Klima- und Nachhaltigkeits-Mainstreaming in alle fünf Handlungsfelder: verpflichtende Klima-, Biodiversitäts- und Naturverträglichkeits-Checks für jede Beschleunigungsmaßnahme (Bau-Turbo ja – aber natur- & klimaverträglich). IPCC-Pfadkompatibilität als Standard. (IPCC)
  2. Klimaneutrale Bundesverwaltung bis 2030: Green-IT (Rechenzentren energieeffizient, Ökostrom), CO₂-Budgets pro Ressort, klimafreundliche Beschaffung als Default (SDG 12). (sdg-indikatoren.de)
  3. KI-Governance aus einem Guss: Gesetzliche Mindeststandards zu Erklärbarkeit, Human-in-the-Loop bei Grundrechtseingriffen, nationale Modell-Register, offene Rule-Libraries für „Law-as-Code“.
  4. Weiterbildung im Industriemaßstab: Ein Transformationssemester für den öffentlichen Dienst und KMU – finanziert, zertifiziert, messbar (OECD-Skills-Agenda). (OECD)
  5. Ehrliche Finanzierung: Wenn wir wirklich modernisieren wollen, brauchen wir ein klares Steuer-/Abgaben-Design für Großvermögen und windfall profits – so stand es im SPD-Kernanliegen, und so wird’s international diskutiert. Glaubwürdigkeit gewinnt, wer Transformation gerecht finanziert. (vorwärts)
  6. Ungleichheit adressieren: Die Menschen spüren die Doppelmoral und wählen radikaler denn je in der Geschichte der Bundesrepublik. Das gilt vor allem für die Ungleichheiten zwischen reich und arm sowie jung und alt. Extremisten mit Inhalten zu bekämpfen ist Unsinn, es müssen einfach die Kernanliegen der (Ex-)Stammwählerschaft wieder ernstgenommen werden. Konkreter Vorschlag: Durch mehr Bürgerbeteiligung und bessere Kommunikation des Petitionswesens im Bundestags – hier schaffen es Anliegen der Bürger:innen auch ohne Beteiligung im Kommunalparlament auf die Agenda!

Bottom line

Diese Agenda kann Deutschlands Staat spürbar schneller, digitaler, bürgernäher machen – ein Plus für Vertrauen und Standort. Aber echte Zukunftsfähigkeit entsteht erst, wenn wir KI-Skalierung mit sozialer Gerechtigkeit und ökologischer Mission verknüpfen. Sonst modernisieren wir die Verwaltung – und verlieren die Ziele des Jahrzehnts. Ungefähr so, wie wir es in dem umfangreichen, dreiteiligen Sammelband „Regenerative Zukünfte und künstliche Intelligenz“ (Springer) beschreiben. Der Dreiklang ist möglich, wir müssen „nur“ anders denken.

Zukunft ist kein Trend, den man abwartet. Zukunft ist eine Entscheidung – jeden Tag, in jedem Paragrafen, in jedem Prozess.

Quellen (Auswahl):
Modernisierungsagenda (BMDS, 10/2025) · Koalitionsvertrag „Verantwortung für Deutschland“ (04/2025) (SPD) · IPCC AR6 Synthesis (2023) (IPCC) · VNR/SDG-Bericht Deutschland (2025) (sdg-indikatoren.de) · OECD Economic Survey Germany (06/2025) (OECD) · Lieferketten-Debatte (2025) (WirtschaftsWoche) · SPD-Steuerpositionen (08/2025) (vorwärts)

Foto von Eden Constantino auf Unsplash