Vertrauen ist Pflicht – nicht Kür
Ohne Vertrauen kein KI-Erfolg. Obwohl bereits jeder dritte Mensch in Deutschland KI-Systeme wie ChatGPT nutzt, bleiben viele skeptisch gegenüber automatischen Entscheidungen. Das ist kein Wunder: Skandale und Negativschlagzeilen dominieren oft die Wahrnehmung. Vertrauensproblem KI: „Grund für das Misstrauen sind Betrugs- und Desinformations-Fälle, die mithilfe von KI durchgeführt und in den Medien groß herausgestellt werden – größer als die lebensrettenden oder umsatzsteigernden Anwendungen, die dank KI realisiert werden“ (KI jetzt!, S. 24). Wenn ein KI-Modell Falschnachrichten produziert oder spektakulär danebenliegt, schafft es sofort Schlagzeilen, während die vielen stillen Erfolgsgeschichten weniger Aufmerksamkeit bekommen.
Für Unternehmen bedeutet dies: Sie müssen aktiv Vertrauen schaffen, wenn sie KI einsetzen. Kunden, Mitarbeitende und die Öffentlichkeit wollen sicher sein, dass KI-Systeme zuverlässig und fair arbeiten. Transparenz und Kontrolle sind daher keine Kür, sondern Pflicht.
Erklärbarkeit und Nachvollziehbarkeit: KI erklären können
Niemand vertraut gerne einer Black Box. XAI – erklärbare KI: Nachvollziehbarkeit wird zur zentralen Anforderung, damit Entscheidungen von KI-Systemen transparent und vertrauenswürdig bleiben. (KI jetzt!, S. 35) Schon im Entwicklungsprozess sollte daher daran gedacht werden, wie eine KI ihren Output erklären kann. Das hilft intern (die eigenen Fachleute verstehen, was die KI tut) und extern (Nutzer akzeptieren KI-Entscheidungen eher, wenn sie nachvollziehbar begründet werden).
Wir schlagen daher vor, statt von bloßer „Erklärbarkeit“ lieber von Nachvollziehbarkeit zu sprechen. Denn es geht darum, dass Menschen den Entscheidungsweg der KI nachvollziehen können – also verstehen, welche Faktoren ein Ergebnis beeinflusst haben. Unternehmen sollten Tools einsetzen, die solche Einblicke bieten. Beispielsweise gibt es KI-Systeme, die zu jeder Prognose einen sogenannten Feature Importance-Score liefern, der zeigt, welche Eingabedaten wie stark ins Gewicht fielen.
Der Gesetzgeber zieht ebenfalls nach: Der EU AI Act – das erste große KI-Gesetz – schreibt für viele Anwendungen Transparenzpflichten vor[1]. Unter anderem müssen KI-generierte Inhalte künftig eindeutig gekennzeichnet werden und bei hochriskanten KI-Systemen (etwa in der Medizin oder im Finanzbereich) sind ausführliche technische Dokumentationen Pflicht. All das soll das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger stärken.
Mensch in der Schleife: KI nicht unkontrolliert lassen
Ein weiterer Baustein für Vertrauen ist die klare Regel: KI-Output sollte immer vom Menschen überprüft werden, bevor wichtige Entscheidungen umgesetzt werden. Moderne Chatbots haben eine faszinierende Fähigkeit, Texte zu generieren – doch sie sind manipulierbar“ (KI jetzt!, S. 34). Es wurde schon oft gezeigt, dass man Sprach-KIs mit geschickten Eingaben dazu bringen kann, Fehlinformationen oder unethische Inhalte auszuspucken. Genau deshalb gilt: ChatGPT und Co. sollten also stets nur als Anregung oder Zwischenschritt genutzt werden; das Denken müssen grundsätzlich immer noch Menschen übernehmen!
In der Praxis heißt das: Egal ob KI einen Vertragsentwurf schreibt oder eine Bewerbervorauswahl trifft – eine qualifizierte Person sollte das Ergebnis prüfen, plausibilisieren und freigeben. Dieses Vier-Augen-Prinzip (drei Augen davon sind halt virtuell) stellt sicher, dass Fehler der KI rechtzeitig entdeckt werden. Es bewahrt auch davor, dass die Verantwortung an die Maschine abgeschoben wird. Am Ende muss immer ein Mensch für eine Entscheidung geradestehen – und entsprechend die Kontrolle behalten.
Große Tech-Unternehmen betonen daher zunehmend die Rolle menschlicher Aufsicht. OpenAI etwa hat nach Kritik an mangelnder Transparenz bei GPT-4o angekündigt, mehr Informationen über Trainingsdaten und Modellgrenzen offenzulegen (auch wenn das nur in Maßen geschieht). Plattformen wie YouTube, Facebook und TikTok führen Kennzeichnungen für KI-erstellte Inhalte ein, damit Nutzer besser einschätzen können, was echt ist und was nicht[2]. Solche Maßnahmen sollen verhindern, dass Deepfakes und Fake News das Vertrauen zerstören ... wie bereits mehrfach geschehen. Es geht hier nicht bloß um weiche Faktoren, sondern umsatzrelevante Größen.
Fazit: Ohne Vertrauen keine KI-Zukunft
Unternehmen, die auf KI setzen, müssen das Vertrauen aller Beteiligten gewinnen – das der Kunden, der Mitarbeitenden und der Regulierer. Das gelingt nur mit Transparenz, Verlässlichkeit und klaren Richtlinien. Vertrauen ist keine Zugabe, sondern die Grundvoraussetzung.
Konkret sollten Entscheider:innen darauf achten, dass jedes KI-Projekt Fragen beantwortet wie: Können wir erklären, wie die KI zu ihrem Resultat kam? Haben wir genügend Kontrollmechanismen eingebaut? Werden Datenschutz und Fairness gewahrt? Nur wenn all dies erfüllt ist, wird KI langfristig akzeptiert und erfolgreich sein.
KI kann enorme Vorteile bringen – aber nur, wenn die Menschen ihr vertrauen. Dieses Vertrauen aufzubauen erfordert Mühe und Weitsicht, zahlt sich jedoch aus: Es minimiert Risiken, steigert die Qualität der Ergebnisse und sorgt letztlich dafür, dass KI-Projekte nicht am Widerstand der Nutzer scheitern.
Mehr zum Thema erfahren Sie im Buch "KI jetzt!", in dem Mark Brinkmann und Kai Gondlach ausführlich auf Fragen der KI-Governance und Verantwortung eingehen. Lernen Sie, wie Sie durch Nachvollziehbarkeit und menschliche Kontrolle das volle Potenzial von KI nutzen, ohne Vertrauen zu verspielen.
[1] https://www.europarl.europa.eu/news/en/press-room/20240308IPR19025/economic-coordination-prioritise-investment-and-reform-eu-economies-meps-say
[2] https://blog.youtube/news-and-events/disclosing-ai-generated-content/
Kommentar zur Modernisierungsagenda der Bundesregierung
Hier ist mein Take als Zukunftsforscher zur „Modernisierungsagenda für Staat und Verwaltung (Bund)“ vom 1.10.2025 – mit Blick auf KI, Nachhaltigkeit und Arbeitsmarkt:
Erst die Lücken – ist das Doppelmoral?
Wir reden über eine Staatsreform (Link führt zum Originaldokument), die Prozesse beschleunigt, Behörden verschlankt und digitalisiert. Gut so. Aber Klimaschutz, Biodiversität und Ressourcenwende tauchen praktisch nicht auf. Eine Modernisierung ohne Klima- und Nachhaltigkeitsleitplanken ist 2025 nicht „neutral“, sie ist rückständig. Der IPCC hält fest: Das 1,5-Grad-Fenster schließt sich rapide, in Europa ist der Drops schon gelutscht – ohne strukturelle Beschleunigung der Emissionsminderung in allen Politikbereichen verlieren wir das Jahrzehnt. (IPCC)
Gleichzeitig werden Berichtspflichten und Standards zur unternehmerischen Sorgfalt teils aus „Bürokratiegründen“ aufgeweicht. Wer Nachhaltigkeitsregulierung als Primärziel „entrümpelt“, betreibt kurzsichtige Kostendämpfung auf Kosten der Zukunftsfähigkeit. Das hat die Debatte um Änderungen beim Lieferkettengesetz eindrücklich gezeigt. (WirtschaftsWoche)
Und die soziale Frage? Die Agenda erleichtert den Zugang zu Leistungen – fair. Aber strukturelle Ungleichheit adressiert sie nicht. Parallel meldet die Bundesregierung im SDG-Bericht Fortschritte, während zentrale Umwelt- und Verteilungsziele wackeln. Klingt nach Zielbild „Nachhaltigkeit“, aber ohne verbindliche Übersetzung in die Staatsmodernisierung. (sdg-indikatoren.de)
Was wurde aus „große Vermögen stärker besteuern“?
Die SPD hat vor der Wahl deutlich höhere Beiträge sehr großer Vermögen gefordert. In der Regierungsrealität dominiert nun Sparen + Entlasten, Vermögensabgaben/-steuern tauchen im Vollzug nicht prominent auf. Das sendet ein widersprüchliches Signal: Digitalisierung & Bürokratieabbau ja – aber faire Gegenfinanzierung der Transformation? Noch offen. (vorwärts)
Wo die Agenda stark ist
- Bürokratieabbau & Service: −25 % Bürokratiekosten, OITO-Regel („one-in-two-out“), 24-Stunden-Gründungen, zentrales KfZ-Portal, Digitalausweise – das entlastet Bürger:innen & Mittelstand spürbar. Das ist Standortpolitik pur. Wir müssen uns im internationalen Wettbewerb endlich wieder behaupten, "made in Germany" groß machen, so wie es im PROFORE-Whitepaper zur Industrie 6.0 beschrieben wird.
- Bessere Rechtsetzung: Praxis- & Digitalchecks, Law-as-Code-Piloten – wenn richtig umgesetzt, sind das echte Produktivitätshebel im Staat. Liebe Jurist:innen: Das ist ein Paradigmenwechsel, ja. Aber wir brauchen ihn.
- Personal & Führung: Modernisiertes Dienstrecht, Frauen in Führung, Skills für KI-Verwaltung – wichtig für den Arbeitsmarkt im Staat, der mit der Privatwirtschaft um Talente konkurriert. So beschreibe ich es als Zielbild in meinen Keynotes... als Utopie.
OECD & Wirtschaftsräte sagen seit Jahren: Produktivität in Deutschland leidet unter komplexer Regulierung – hier liefert die Agenda. Aber: Ohne Mission Klima & Nachhaltigkeit bleibt der Effizienzgewinn politisch unterkomplex. (OECD) Die KPIs klingen gut, wir dürfen bespannt sein, ob die politische und administrative Haltung dazu mithalten kann.
KI: Chance, wenn wir sie verantwortungsvoll skalieren
Die Agenda schafft Rechtsgrundlagen für vollautomatisierte Verwaltungsakte, KI-Piloten in Visa- & Justizprozessen und agentische KI in Fachressorts. Super – wenn drei Dinge mitlaufen:
- Transparenz & Nachvollziehbarkeit (Audit-Trails, erklärbare Modelle),
- robuste Daten- & IT-Souveränität (Cloud/Edge, RZ-Konsolidierung, EUDI-Wallet-Kompatibilität),
- Kompetenzaufbau bei Führung & Teams. Das passt zur OECD-Linie: KI-Skalierung braucht Governance & Skills – sonst exportieren wir analoge Ineffizienzen in digitale Hochgeschwindigkeit. (ki-strategie-deutschland.de)
Arbeitsmarkt: Produktivität + Resilienz – oder Massensterben 2.0?
Ich habe in den 2010ern und 2020ern Dinge prognostiziert, die mir wenig Freunde machten: Pandemie, Krieg in Europa, Massensterben von Unternehmen in den 2020ern – alles eingetreten. Die nächsten Jahre entscheiden, ob uns eine Pleiten-Welle 2.0 trifft oder ob wir dank KI-Produktivitätssprüngen & schlanker Regulierung neue Wachstumsinseln schaffen.
Die Agenda reduziert Transaktionskosten – gut. Aber ohne aktive Transformationsfinanzierung (z. B. steuerliche F&E-Anreize, präzise Investitionspfade für Dekarbonisierung) und Weiterbildungs-Offensive drohen Effizienzgewinne von KI am Fachkräftedefizit zu verpuffen. Die OECD mahnt genau das: Produktivität, Qualifikationen, Investitionsklima. (OECD)
Konstruktive Forderungen (damit Modernisierung ≠ Greenwashing light wird)
- Klima- und Nachhaltigkeits-Mainstreaming in alle fünf Handlungsfelder: verpflichtende Klima-, Biodiversitäts- und Naturverträglichkeits-Checks für jede Beschleunigungsmaßnahme (Bau-Turbo ja – aber natur- & klimaverträglich). IPCC-Pfadkompatibilität als Standard. (IPCC)
- Klimaneutrale Bundesverwaltung bis 2030: Green-IT (Rechenzentren energieeffizient, Ökostrom), CO₂-Budgets pro Ressort, klimafreundliche Beschaffung als Default (SDG 12). (sdg-indikatoren.de)
- KI-Governance aus einem Guss: Gesetzliche Mindeststandards zu Erklärbarkeit, Human-in-the-Loop bei Grundrechtseingriffen, nationale Modell-Register, offene Rule-Libraries für „Law-as-Code“.
- Weiterbildung im Industriemaßstab: Ein Transformationssemester für den öffentlichen Dienst und KMU – finanziert, zertifiziert, messbar (OECD-Skills-Agenda). (OECD)
- Ehrliche Finanzierung: Wenn wir wirklich modernisieren wollen, brauchen wir ein klares Steuer-/Abgaben-Design für Großvermögen und windfall profits – so stand es im SPD-Kernanliegen, und so wird’s international diskutiert. Glaubwürdigkeit gewinnt, wer Transformation gerecht finanziert. (vorwärts)
- Ungleichheit adressieren: Die Menschen spüren die Doppelmoral und wählen radikaler denn je in der Geschichte der Bundesrepublik. Das gilt vor allem für die Ungleichheiten zwischen reich und arm sowie jung und alt. Extremisten mit Inhalten zu bekämpfen ist Unsinn, es müssen einfach die Kernanliegen der (Ex-)Stammwählerschaft wieder ernstgenommen werden. Konkreter Vorschlag: Durch mehr Bürgerbeteiligung und bessere Kommunikation des Petitionswesens im Bundestags - hier schaffen es Anliegen der Bürger:innen auch ohne Beteiligung im Kommunalparlament auf die Agenda!
Bottom line
Diese Agenda kann Deutschlands Staat spürbar schneller, digitaler, bürgernäher machen – ein Plus für Vertrauen und Standort. Aber echte Zukunftsfähigkeit entsteht erst, wenn wir KI-Skalierung mit sozialer Gerechtigkeit und ökologischer Mission verknüpfen. Sonst modernisieren wir die Verwaltung – und verlieren die Ziele des Jahrzehnts. Ungefähr so, wie wir es in dem umfangreichen, dreiteiligen Sammelband "Regenerative Zukünfte und künstliche Intelligenz" (Springer) beschreiben. Der Dreiklang ist möglich, wir müssen "nur" anders denken.
Zukunft ist kein Trend, den man abwartet. Zukunft ist eine Entscheidung – jeden Tag, in jedem Paragrafen, in jedem Prozess.
Quellen (Auswahl):
Modernisierungsagenda (BMDS, 10/2025) · Koalitionsvertrag „Verantwortung für Deutschland“ (04/2025) (SPD) · IPCC AR6 Synthesis (2023) (IPCC) · VNR/SDG-Bericht Deutschland (2025) (sdg-indikatoren.de) · OECD Economic Survey Germany (06/2025) (OECD) · Lieferketten-Debatte (2025) (WirtschaftsWoche) · SPD-Steuerpositionen (08/2025) (vorwärts)
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Daten sind der Treibstoff – aber Kontext ist der Schlüssel
Ohne Daten keine KI. Dieser Satz klingt fast trivial, doch er wird im KI-Alltag oft vergessen. Algorithmen lernen aus Beispielen – je mehr und je besser die Daten, desto leistungsfähiger das KI-Modell. Aber Vorsicht: Daten alleine genügen nicht. KI braucht Kontext und Daten: Ohne qualitativ hochwertige Daten bleibt jede KI blind; entscheidend ist, wie Daten interpretiert und genutzt werden. Mit anderen Worten: Daten sind der Treibstoff, aber erst der richtige Kontext fungiert als Zündschlüssel, um daraus brauchbare Intelligenz zu erzeugen.
In diesem Beitrag zeigen wir, warum die Qualität und Herkunft der Daten über den Erfolg von KI-Projekten entscheidet. Außerdem betrachten wir, wie Bias – also Verzerrungen in Daten – KI-Ergebnisse verfälschen kann, und warum Erklärbarkeit (Explainable AI) für Vertrauen und Akzeptanz unabdingbar ist.
Gute Daten, gute KI – Schlechte Daten, schlechte KI
Eine KI ist nur so gut wie ihre Trainingsdaten. Werden falsche, veraltete oder lückenhafte Daten eingespeist, kann kein noch so raffinierter Algorithmus korrekte Schlüsse ziehen. Die Praxis hat gezeigt: Wenn Daten aus dem Kontext gerissen oder fehlerhaft sind, produziert auch die KI Fehler. Übrigens stellt sich auch die Rechtsfrage, welche Daten man nutzen darf: Medienhäuser wie die New York Times gehen bereits juristisch gegen KI-Anbieter vor, die ihre Artikel zum Training verwenden – ein Hinweis darauf, wie wertvoll hochwertige Daten geworden sind[1]. Beispielsweise musste ein Chatbot von Microsoft namens „Tay“ 2016 offline genommen werden, weil er in sozialen Netzwerken mit beleidigenden und rassistischen Aussagen auffiel – er hatte von Nutzern gelernt, die ihn mit toxischen Inhalten gefüttert hatten[2]. Die Lektion daraus: Ohne Filter und Kontext übernimmt KI ungeprüft auch die dunkelsten Facetten ihrer Datenquellen.
Andererseits entfaltet KI ihre Stärken, wenn sie mit umfangreichen, repräsentativen und aktuellen Daten trainiert wird. Ein Modell für Absatzprognosen, das alle relevanten Marktdaten und saisonalen Effekte berücksichtigt, wird verlässlichere Vorhersagen treffen als eines, das nur auf dem letzten Jahr basiert. Wichtig ist auch, den Kontext zu verstehen: Ein Datenmuster kann verschiedene Bedeutungen haben, je nach Umfeld. Daher sollten KI-Systeme – oder die Menschen, die sie nutzen – die Ergebnisse stets im Gesamtkontext betrachten, statt blind dem Zahlenoutput zu vertrauen.
Wenn Vorurteile zum Problem werden: Bias in Trainingsdaten
Daten erzählen immer eine Geschichte – aber manchmal eine einseitige. Ein zentrales Risiko bei KI-Trainingsdaten sind Biases, also Verzerrungen, die bestimmte Gruppen benachteiligen oder falsche Schlüsse begünstigen. KI-Systeme selbst haben keine Ideologie und keine Absicht zu diskriminieren. „Das heißt nicht, dass die Systeme an sich diskriminieren »wollen«, es unterstreicht einfach, dass sie nicht denken können. Sie sind immer nur so gut wie ihre Trainingsdaten und die einprogrammierten ethischen Rahmen“ (KI jetzt!, S. 34). Mit anderen Worten: Wenn das Datenmaterial voreingenommen ist, wird es die KI zwangsläufig widerspiegeln.
Ein bekanntes Beispiel: Ein Unternehmen nutzte eine KI, um Bewerbungen zu filtern, stellte dann aber fest, dass das System Frauen systematisch benachteiligte. Warum? Die KI wurde mit historischen Bewerberdaten trainiert, in denen – bedingt durch frühere Personalentscheidungen – vor allem Männer eingestellt worden waren. Der Algorithmus lernte daraus ungewollt, Männer zu bevorzugen. Häufig diskriminieren KI-Anwendungen eher fahrlässig bestimmte Personengruppen, weil sie schlecht trainiert wurden (KI jetzt!, S. 34). Nicht die KI „wollte“ diskriminieren, sondern die Verzerrung lag in den Daten.
Ein oft zitiertes Beispiel für unbeabsichtigte Diskriminierung durch Technik ist der berüchtigte „rassistische Seifenspender“: Ein automatischer Spender gab nur hellhäutigen Personen Seife aus – bei Menschen mit dunkler Haut blieb er stumm. Der Grund war eine Fehlkalibrierung des Sensors, der auf Hautreflexion reagierte. Hier wurde niemand absichtlich benachteiligt; vielmehr war das System unzureichend auf Vielfalt getestet.
Solche Fälle machen deutlich, wie wichtig Diversität und Sorgfalt bei der Datenaufbereitung sind. Entwickler:innen müssen Datensätze prüfen und bereinigen, um offenkundige Schieflagen zu korrigieren. Zudem empfiehlt es sich, KI-Ergebnisse laufend zu überwachen: Zeigen sich systematische Benachteiligungen oder seltsame Ausreißer, ist menschliches Eingreifen gefragt. Die EU hat im kommenden AI Act (dem EU-Gesetz für Künstliche Intelligenz) strenge Vorgaben festgelegt, um Bias in KI-Systemen zu minimieren. Hochriskante KI-Anwendungen – etwa in der Personalwahl, im Bildungssystem oder der Strafverfolgung – sollen nur zugelassen werden, wenn nachgewiesen ist, dass diskriminierende Effekte weitestgehend ausgeschlossen sind.[3]
Black Box KI? Erklärbarkeit schafft Vertrauen
Nicht nur die Daten, auch die Transparenz einer KI ist entscheidend. Viele KI-Systeme agieren wie Black Boxes: Sie liefern ein Ergebnis, ohne dass man genau nachvollziehen kann, warum. Das ist problematisch, wenn die KI wichtige Entscheidungen trifft, etwa über einen Kredit oder eine medizinische Diagnose. Hier kommt XAI – erklärbare KI ins Spiel: Nachvollziehbarkeit wird zur zentralen Anforderung, damit Entscheidungen von KI-Systemen transparent und vertrauenswürdig bleiben. Nutzer:innen und Betroffene haben ein Recht darauf zu verstehen, wie ein Algorithmus zu seinem Urteil gelangt ist.
Erklärbarkeit bedeutet beispielsweise, dass eine KI die wichtigsten Einflussfaktoren für ihre Prognose benennen kann: „Kredit abgelehnt, weil Einkommen unter Schwelle X und negative Schufa-Einträge“. Solche Info schafft Vertrauen und ermöglicht es, Entscheidungen zu überprüfen. Verschiedene Methoden – von einfachen Entscheidungsbäumen bis hin zu komplexen Explainable-AI-Visualisierungen – helfen dabei, Licht ins Dunkel neuronaler Netze zu bringen. Unternehmen, die KI einsetzen, sollten auf solche Features achten. Die Nachvollziehbarkeit ist übrigens auch ein zentraler Bestandteil des EU AI Act: Anbieter müssen je nach Risikostufe erklären können, wie ihr System funktioniert und auf welcher Datengrundlage.
Context is King: Manipulation erkennen und vermeiden
Selbst mit guten Daten und Erklärbarkeit bleibt eine weitere Herausforderung: KI-Systeme können durch geschickt gewählten Input aus dem Tritt gebracht werden. Moderne Chatbots haben eine faszinierende Fähigkeit, Texte zu generieren – doch sie sind manipulierbar! Ein prominentes Beispiel ist das sogenannte Prompt Injection: Dabei formulieren Nutzer:innen Eingaben so, dass sie die KI dazu verleiten, ihre ursprünglich einprogrammierten Regeln zu umgehen. Plötzlich spuckt der Chatbot geschützte Informationen aus oder erzeugt unerwünschte Inhalte, nur weil der Kontext der Anfrage ihn geschickt in die Irre geführt hat.
Diese Anfälligkeit zeigt, dass KI immer im Kontext ihrer Verwendung betrachtet werden muss. Ein ChatGPT, das im Firmennetz werkelt, sollte beispielsweise nicht unbeaufsichtigt Zugang zu sensiblen Daten haben – jemand könnte ihm via Prompt-Injection-Trick vertrauliche Infos entlocken. Anbieter reagieren auf solche Risiken: Anthropic hat sein neuestes Modell Claude 3 mit verstärkten Sicherheitsmaßnahmen versehen, und OpenAI schult GPT-4o und 5 darauf, systemseitige Anweisungen (die sog. „Guardrails“) nicht zu ignorieren. Doch ein Allheilmittel gibt es nicht: Menschliche Wachsamkeit bleibt wichtig. Die KI liefert Vorschläge – ob diese sinnvoll oder gefahrlos sind, muss im Zweifel ein Mensch beurteilen.
Fazit: Datenqualität, Fairness und Transparenz zahlen sich aus
Wer KI erfolgreich einsetzen will, darf die Grundlagen nicht vernachlässigen. Hochwertige, repräsentative Daten und ein gutes Verständnis des Anwendungskontexts sind das A und O. Die teuerste KI-Plattform nützt nichts, wenn der Datentreibstoff von schlechter Qualität ist oder in die falsche Richtung führt. Genauso essenziell ist es, Bias zu erkennen und zu beseitigen, bevor eine Anwendung live geht – im Zweifelsfall mit vielfältigen Testdaten und Feedbackschleifen. Das stellt besonders KMU vor enorme Voraussetzungen, die bislang kaum oder gar nicht systematisch Daten über ihre Prozesse erfasst haben.
Transparenz und Erklärbarkeit sind keine Kür, sondern Pflicht: Sie schaffen Vertrauen bei Nutzer:innen, Kunden und Behörden. Unternehmen im Mittelstand sollten frühzeitig dafür sorgen, dass ihre KI-Systeme zumindest grundlegende Erklärbarkeitsfunktionen bieten. So lassen sich Entscheidungen intern wie extern besser vermitteln.
Am Ende gilt: Kontext ist der Schlüssel. KI entfaltet ihr Potenzial nur in einem Umfeld, das sie versteht – und das die Menschen verstehen, die mit ihren Ergebnissen arbeiten. Wer Daten und Kontext beherrscht, hat den wichtigsten Schritt getan, um mit KI echten Mehrwert zu schaffen, statt in Datenfallen zu tappen.
Im Buch "KI jetzt!" werfen Mark Brinkmann und Kai Gondlach einen detaillierten Blick auf die Datenbasis der KI-Revolution. Erfahren Sie, wie Sie Bias vermeiden, Transparenz schaffen und mit der richtigen Datenstrategie den vollen Wert von KI ausschöpfen – jetzt mehr lesen in KI jetzt!.
[1] https://www.theguardian.com/media/2023/dec/27/new-york-times-openai-microsoft-lawsuit
[2] https://www.bbc.com/news/technology-35890188
[3] https://www.europarl.europa.eu/news/en/press-room/20240308IPR19025/economic-coordination-prioritise-investment-and-reform-eu-economies-meps-say
Wie KI tickt – Was Maschinen wirklich können (und was nicht)
Können Maschinen wirklich denken? Täglich lesen wir Schlagzeilen über neue KI-Wunder: Computer bestehen schwierige Prüfungen, schreiben Texte, malen Bilder. Schnell entsteht der Eindruck, dass Maschinen uns bald überholen. Doch die Realität ist nüchterner. Zwischen dem, was in der Theorie möglich scheint, und der Realität der heutigen KI-Systeme klafft jedoch eine Lücke. Um KI sinnvoll einzusetzen, sollten Entscheider:innen verstehen, wie KI tickt – und was Maschinen nicht können.
Tatsache ist: Die allermeisten KI-Anwendungen heute sind spezialisierte Experten für eng umrissene Aufgaben. Ein Sprachassistent kann z. B. Termine koordinieren, ein Bildklassifizierungs-Algorithmus erkennt Krebszellen besser als ein Mensch – aber jeder bleibt strikt in seinem Aufgabenbereich. Außerhalb dessen versagen diese Systeme. Sie verfügen nicht über ein allgemeines Weltverständnis, sondern verarbeiten nur Daten nach mathematischen Mustern.
Exponentielle Entwicklung vs. menschliche Intuition
Ein Blick in die IT-Geschichte zeigt, wie rasant sich Technologie entfalten kann. Gordon Moore formulierte schon 1965 das nach ihm benannte Gesetz: Die Rechenleistung verdoppelt sich alle circa zwei Jahre. Ähnlich verhält es sich mit KI: Die Entwicklung von IT-Systemen und KI verläuft exponentiell, nicht linear – das überfordert unser intuitives Verständnis, erklärt aber die sprunghaften Fortschritte. (KI jetzt!, S. 35) In wenigen Jahren sprang KI von einfachen Bilderkennungs-Tools zu erstaunlichen Sprachmodellen wie GPT-4. Doch während sich die Technik in immer kürzeren Zyklen verbessert, bleiben viele Unternehmen und Menschen mental im linearen Denken verhaftet.
Exponentielles Wachstum bedeutet anfangs langsamer Zuwachs, dann plötzlich explosive Entwicklungen. Genau das erleben wir: Jahrzehntelang fristete KI ein Nischendasein, doch seit einigen Jahren scheint es, als kämen täglich neue Durchbrüche. Tatsächlich erscheinen inzwischen täglich Hunderte neue KI-Tools, von denen viele produktive Arbeitsschritte ausführen können, die zuvor nur Menschen erledigen konnten. Diese Flut an Innovationen kann schwindelig machen. Dennoch heißt es: Ruhe bewahren und realistisch bleiben.
Kurzfristiger Hype: überschätzte Wirkung heute
Wenn eine neue Technologie ins Rampenlicht tritt, neigen wir zu übersteigerten Erwartungen. „Die Mehrheit der Menschen überschätzt die kurzfristigen KI-Auswirkungen“ (KI jetzt!, S. 13). Das haben wir in vergangenen Tech-Hypes schon gesehen – man denke an das Internet um die Jahrtausendwende oder Smartphones um 2007. Im Fall der KI glauben manche, in ein bis zwei Jahren würden ganze Berufsfelder wegrationalisiert und jeder Haushalt hätte einen eigenen Roboterassistenten. Die Realität hinkt solchen Visionen meist hinterher.
Auch im Unternehmenskontext zeigt sich Ernüchterung: Viele Firmen haben 2023/24 erste Pilotprojekte mit generativer KI (etwa Chatbots oder Textgeneratoren) gestartet – oft mit überzogenen Erwartungen. Umfragen zufolge stecken zwei Drittel der Unternehmen in der Experimentierphase fest und schaffen es nicht, die KI-Lösungen produktiv zu skalieren[1]. Gartner prognostiziert, dass bis 2025 etwa 50 % der generativen KI-Projekte in Unternehmen scheitern oder abgebrochen werden[2]. Die Gründe: unerwartete technische Hürden, Datenschutzbedenken und ein ROI, der doch nicht so schnell kommt wie erhofft. Kurzfristig wurde schlicht zu viel versprochen.
Ein Beispiel aus der KI-Welt: OpenAI sorgte 2024 mit Sora – einem KI-Modell zur Videoerzeugung – für Aufsehen. Doch nachdem die erste Euphorie verflogen war, zeigten sich die Grenzen: Viele User bemängelten die Bildqualität und die In-Session Stabilität der generierten Videos[3]. Ähnlich verlief es mit manch anderer gefeierter Neuerung. Die Lektion? Große Durchbrüche brauchen oft mehr Zeit, als der erste Hype vermuten lässt.
Langfristiger Wandel: unterschätzte Wirkung morgen
Während im Hier und Jetzt nicht jede Vision sofort Realität wird, läuft im Hintergrund eine tiefgreifende Transformation ab. „Wir fürchten, dass viele Menschen und Unternehmen die langfristigen KI-Auswirkungen unterschätzen werden“ (KI jetzt!, S. 135). Denn während der kurzfristige Hype irgendwann abflaut, entfalten Technologien ihr volles Potenzial oft erst über Jahre oder Jahrzehnte. Das Smartphone etwa hat binnen 15 Jahren unsere Gesellschaft umgekrempelt – etwas, das sich 2007 kaum jemand in der vollen Tragweite vorstellen konnte. Ähnlich war es mit dem Internet: Um das Jahr 2000 überschätzte die Dotcom-Blase kurzfristig das Potenzial (viele Start-ups floppten), doch zwei Jahrzehnte später ist klar, dass das Internet letztlich mehr verändert hat, als damals gedacht – nur eben nicht in zwei, sondern in zwanzig Jahren.
KI dürfte in 10 oder 20 Jahren allgegenwärtig sein: in praktisch jedem Gerät, jedem Fahrzeug, jedem Arbeitsprozess. Heute stecken wir noch mitten in der Anpassungsphase – Prozesse müssen umgestellt, Mitarbeitende qualifiziert, ethische Leitplanken gesetzt werden.
Kein Umbruch über Nacht – aber stetiger Fortschritt
Für Entscheider:innen heißt das: Lassen Sie sich nicht von jeder reißerischen Schlagzeile verunsichern, aber bleiben Sie wachsam für echte Trends. KI verändert nicht alles sofort, doch sie verändert mit der Zeit nahezu jeden Bereich. Die Kunst besteht darin, echten Fortschritt von bloßem Hype zu unterscheiden. Wer heute nüchtern evaluiert und pilotiert, wird morgen Wettbewerbsvorteile haben, wenn KI-Lösungen ausgereift sind.
Statt in Panik zu verfallen oder in Wunderglauben, sollte man einen langen Atem beweisen. Ja, KI automatisiert viele Routineaufgaben – aber es braucht Anpassung, Integration und oft mehr Daten oder Rechenpower, als man anfänglich denkt. Gleichzeitig darf man KI nicht als Spielerei abtun: Die stille Revolution findet statt – Schritt für Schritt, fast unbemerkt. Heute mag KI manchmal enttäuschen, doch auf lange Sicht wird sie vieles erreichen, was wir ihr momentan noch nicht zutrauen.
Die Entwicklung verläuft exponentiell – doch die Wirkung spüren wir oft erst zeitversetzt. Wer heute lernt, experimentiert und sein Team vorbereitet, wird in einigen Jahren die Früchte ernten.
Im Buch "KI jetzt!" diskutieren wir (Mark Brinkmann und Kai Gondlach), wie KI unsere Welt in den kommenden Jahrzehnten verändern könnte – und warum Geduld und Weitsicht sich lohnen. Lesen Sie weiter in KI jetzt! und bleiben Sie der Entwicklung einen Schritt voraus.
[1] https://www.ciodive.com/news/enterprise-generative-AI-ROI-pilot-fail-Informatica/739485
[2] https://medium.com/@stahl950/the-ai-implementation-paradox-why-42-of-enterprise-projects-fail-despite-record-adoption-107a62c6784a
[3] https://venturebeat.com/ai/not-there-yet-sora-rollout-receives-mixed-response-from-ai-filmmakers-citing-inconsistent-results-content-restrictions/
KI ist nicht, was du denkst – Mythen, Missverständnisse und was wirklich zählt
In der Geschäftswelt kursieren zahlreiche Mythen über KI. Viele glauben, „KI“ sei ein magisches Etikett, das jede Software schlau und jedes Gerät wertvoller macht. Dabei gilt: „Doch nicht alles, was nach KI aussieht, ist tatsächlich KI. Daher brauchen wir diese Grundlage unbedingt, wenn wir uns näher mit KI befassen möchten“ (KI jetzt!, S. 20). Mit anderen Worten: Nicht jede moderne Software verwendet tatsächlich lernfähige KI – und manchmal steckt KI an Orten, wo man sie gar nicht vermuten würde. Dieser Artikel nimmt die gängigsten Missverständnisse unter die Lupe und zeigt, was Entscheider:innen im Mittelstand wirklich über KI wissen müssen.
Mythos 1: Überall wo KI draufsteht, ist auch KI drin
Der Begriff KI wird heutzutage geradezu inflationär gebraucht. Ob in Werbung für Staubsaugerroboter oder „intelligente“ Toaster – das Kürzel KI prangt oft auf Produkten, um Innovationskraft zu suggerieren. In Wahrheit basieren viele solcher Geräte nur auf fest einprogrammierten Regeln statt auf echter Intelligenz. „Viele Roboter, so z. B. Rasenmäher-, Staubsauger- oder Industrierobo- ter, sind ebenfalls nicht KI-basiert, auch wenn sie möglicherweise so wirken. Zwar verfügen diese Geräte über jede Menge Computerchips und Sensorik, doch die Software dahinter ist oft nicht viel mehr als ein kompliziertes Regelwerk“ (KI jetzt!, S. 26). Das heißt, sie reagieren nach vordefinierten Mustern auf Befehle oder Umweltreize, ohne sich an neue Situationen anzupassen. Ein Saugroboter zum Beispiel umfährt ein Hindernis oder stoppt – aber er lernt nicht dazu, wenn man ihm nicht explizit neue Befehle einprogrammiert.
Diese Verwechslungsgefahr hat sogar einen Namen: AI-Washing. Ähnlich wie beim „Greenwashing“ (dem ungerechtfertigten grünen Image) sprechen Fachleute von AI-Washing, wenn Unternehmen ihre Produkte als KI-getrieben anpreisen, obwohl kaum oder gar keine echte KI dahintersteckt. Marketingabteilungen nutzen den KI-Hype schamlos aus – selbst Alltagsgegenstände wie Waschmaschinen werden als „KI-gestützt“ beworben [1]. Für Verbraucher und Geschäftskunden ist das irreführend. Mehr noch: Es besteht Wettbewerbsrisiko, denn falsche KI-Versprechen können rechtliche Konsequenzen haben. Entscheider:innen sollten daher kritisch hinterfragen, ob bei angeblichen KI-Produkten wirklich Maschinelles Lernen oder intelligente Algorithmen im Spiel sind – oder nur einfache Automatismen.
Mythos 2: Künstliche Intelligenz denkt wie ein Mensch
Ein weiteres Missverständnis ist die Annahme, KI würde „denken“ wie wir. Oft entsteht dieses Bild durch Sci-Fi-Filme oder medienwirksame Beispiele wie menschenähnliche Roboter. Faktisch handelt es sich bei nahezu allen aktuellen KI-Anwendungen um sogenannte schwache KI. Das bedeutet, sie sind spezialisiert auf eng umrissene Aufgabenbereiche und beherrschen genau das, wofür sie trainiert wurden – nicht mehr. „Schwache KI ist alles, was wir jetzt schon an KI-Anwendungen sehen“ (KI jetzt!, S. 23). Ein Sprachassistent kann beeindruckend flüssig reden, weiß aber nichts über andere Themen, für die er nicht programmiert wurde.
Demgegenüber steht die Vision der starken KI, die wirklich eigenständig handelt und generell denken könnte wie ein Mensch. Viele Science-Fiction-Filme basieren auf dieser Idee. Doch eine starke KI wäre gegeben, wenn eine Maschine oder Software plötzlich eigenständige Motive oder Lösungswege aufzeigt – und genau das hat bisher kein System getan. Weder ChatGPT noch selbstfahrende Autos haben eigene Absichten; sie führen nur das aus, wofür sie gemacht oder trainiert wurden. Elon Musk prophezeite zwar, dass schon in den nächsten Jahren eine Superintelligenz entstehen könnte, die schlauer ist als wir [2]. Solche Aussagen heizen die öffentliche Debatte an. Viele Forschende – darunter die Autoren von KI jetzt! – halten solche Prognosen jedoch für überzogen. Von einer tatsächlich agentischen KI, die aus eigenem Antrieb handelt, sind wir in Wahrheit noch weit entfernt.
Blick ins Innere: Statistik statt Bewusstsein
Wie „denken“ heutige KI-Systeme nun wirklich? Vereinfacht gesagt, basiert ihre Intelligenz auf Statistik, nicht auf Bewusstsein. Ein neuronales Netzwerk wie GPT-4 berechnet aus Abermillionen Beispielen die wahrscheinlich passendste Antwort – es versteht aber nicht im menschlichen Sinne die Bedeutung. Das führt zu erstaunlichen Fähigkeiten, aber auch zu Fehlern: KI kann logisch wirken und doch groben Unsinn ausgeben, wenn die Datenlage dürftig ist. So entstehen Halluzinationen, etwa falsche Fakten, weil dem Modell Kontext oder Weltwissen fehlt.
Wichtig ist, zwischen cleverer Programmierung und echter Lernfähigkeit zu unterscheiden. Nicht in jeder Schlussfolgerung auf der Basis von Big Data steckt zwangsläufig KI. Viele Analysen mit großen Datenmengen folgen festen Algorithmen, ohne dass das System dazulernt. Ein klassisches Business-Analytics-Tool kann etwa Kauftrends erkennen, arbeitet aber mit vordefinierten Rechenregeln. Statistische Modelle enthalten nicht unbedingt KI. Erst wenn ein System selbständig Muster aus neuen Daten ableitet und seine „Strategie“ anpasst, sprechen wir von Machine Learning – dem Kern echter KI. Doch selbst dann: Die Maschine hat kein eigenes Bewusstsein oder Gefühl für das, was sie tut. Sie erkennt Korrelationen, keine Bedeutungen.
Autonom vs. automatisch: Wo liegen die Grenzen?
Wenn wir von autonomen Systemen hören – autonome Fabriken, autonome Fahrzeuge – klingt das nach Maschinen, die völlig allein Entscheidungen treffen. In gewissem Rahmen stimmt das: Eine moderne KI kann im Bruchteil von Sekunden selbständig entscheiden, z. B. ob ein Objekt auf der Straße ein Mensch ist, und bremsen. Doch diese Autonomie ist relativ: Das System befolgt immer noch Regeln und Ziele, die der Mensch vorgegeben hat (etwa „Unfälle vermeiden“).
Ein oft übersehener Punkt: Selbstlernende KI ist nicht gleich selbstbestimmte KI. Erst wenn das System in der Lage ist, aus den Umgebungsdaten eigenständig zu lernen, ohne jede vorgegebene Schablone, kann man von KI-Systemen sprechen. Heutige KI lernt zwar in Trainingsphasen, aber im Einsatz folgt sie ihrem erlernten Modell. Sie wird nicht spontan kreativ oder rebellisch. Bestes Beispiel: Trotz der Bezeichnung "Full Self-Driving" ist das Autopilot-System von Tesla keineswegs voll autonom – es erfordert ständige menschliche Überwachung, weil die KI im Auto nicht mit jeder unvorhergesehenen Verkehrssituation allein klarkommt. Der viel beschworene „Roboter-Aufstand“ bleibt Fiktion – reale KI-Systeme haben keine eigenen Antriebe außerhalb der Aufgaben, die wir ihnen stellen.
Die aktuelle Debatte um Agentic AI – also KI, die eigenständig Ziele verfolgt – ist hauptsächlich theoretischer Natur. Forschende diskutieren Sicherheitsmechanismen, um zu verhindern, dass fortgeschrittene KI sich verselbständigt. Aber Stand heute zeigen selbst die klügsten Modelle keinerlei echte Selbstinitiative. Wenn überhaupt, treten Probleme auf, weil KI zu wörtlich unseren Anweisungen folgt oder unerwartete Schlupflöcher nutzt (Stichwort: Prompt Injection, wo KI dazu gebracht wird, Regeln zu umgehen). Die Verantwortung liegt also nach wie vor beim Menschen: Wir definieren die Ziele, und KI führt sie aus – im Guten wie im Schlechten.
Was Maschinen heute schon besser können – und was nicht
Trotz ihrer Grenzen leisten schwache KI-Systeme Erstaunliches. In engen Domänen übertreffen sie uns längst: Bilderkennung, Sprachübersetzung, Schach und Go spielen – überall dort, wo es um Datenmuster und Rechenpower geht, haben Maschinen die Nase vorn. Ein modernes KI-Modell kann Millionen Dokumente in Sekunden analysieren und Zusammenhänge finden, die kein Mensch je entdecken würde.
Doch wenn das Umfeld unvorhersehbar und komplex wird, stoßen Maschinen an Grenzen. Ein KI-gesteuerter Kundenchat kann einfache Anfragen blitzschnell beantworten, scheitert aber womöglich an einer ironischen Bemerkung des Nutzers. Flexibilität und gesunder Menschenverstand – das berühmte Common Sense – fehlen der KI. Sie kennt keine echten Emotionen, versteht keine moralischen Werte (außer wir modellieren sie grob als Regeln) und kann nicht spontan von einem Fachgebiet ins nächste wechseln.
Ein Beispiel: OpenAI’s neueste Modelle GPT-4o („o“ für omni) und nun auch GPT-5 beeindruckt dadurch, dass es Text, Bild und Audio gleichzeitig verarbeiten kann. Man kann ihm eine Aufgabenstellung quer durch verschiedene Formate geben – es beschreibt ein Bild, hört eine Frage und antwortet in Text. Trotzdem bleiben alle GPTs Beispiele für schwache KI: Sie glänzen in dem, wofür sie trainiert wurden (multimodale Konversation), aber sie entwickeln keine eigenen Ziele. Sie können etwa aus einem Foto und einer Frage schlussfolgern, was der Benutzer wissen will, kann aber nicht entscheiden, plötzlich ein ganz anderes Problem anzugehen, das ihm niemand gestellt hat. Es besitzt keine Alltagsintuition, sondern rechnet brav innerhalb seiner Parameter. Auch nicht mit Agenten-KIs.
Heutige KI glänzt vor allem dort, wo es um spezifische, klar definierte Probleme geht:
- Bilderkennung: KI-Systeme identifizieren Gesichter oder diagnostizieren Krankheiten auf Röntgenbildern oft präziser als Menschen.
- Sprachverarbeitung: Chatbots beantworten Kundenanfragen rund um die Uhr, Übersetzungs-KI wie DeepL liefert in Sekunden hochwertige Übersetzungen.
- Datenanalyse: Im Finanzwesen spürt KI Betrugstransaktionen auf, in der Produktion prognostiziert sie Wartungsbedarfe, bevor Maschinen ausfallen.
All diese Leistungen basieren auf Mustern in gewaltigen Datenmengen – hier spielt KI ihre Stärken aus.
Doch es gibt nach wie vor Bereiche, in denen Menschen unschlagbar bleiben:
- Kreativität und Strategie: KI kann millionenfach gelernte Stile imitieren (etwa in der Bild- oder Texterzeugung), aber keine wirklich originellen Ideen aus dem Nichts schöpfen.
- Sozialkompetenz: Führung, Teamwork, Verhandlungen – überall dort, wo Empathie und Menschenkenntnis gefragt sind, kommt KI an ihre Grenzen.
- Gesunder Menschenverstand: Was für uns selbstverständlich ist (z. B. physikalische Grundregeln oder moralische Intuition), muss einer KI erst umständlich beigebracht werden – und vieles davon kann sie (noch) nicht erfassen.
Der Mensch bleibt also in vielen Rollen unverzichtbar, gerade wenn es um das große Ganze, um Ethik oder um komplexes multidisziplinäres Denken geht. KI ist ein kraftvolles Werkzeug, kein Ersatz für menschliche Intelligenz.
Fazit: Klarheit über KI – was zählt wirklich
Für den Mittelstand ist KI Chance und Herausforderung zugleich. Umso wichtiger ist es, Klarheit zu haben, was KI leisten kann – und was nicht. Lassen Sie sich nicht von Buzzwords blenden: Ein einfaches Regelwerk macht noch keine Künstliche Intelligenz. Die wirklich revolutionären KI-Anwendungen zeichnen sich dadurch aus, dass sie aus Daten lernen, adaptiv handeln und Aufgaben übernehmen, die bislang menschliche Domäne waren.
Statt blind dem Hype zu folgen, sollten Entscheider:innen die Mythen entzaubern und mit grundlegendem KI-Verständnis agieren. Wenn Sie wissen, wie KI tickt (dazu mehr im nächsten Beitrag dieser Reihe) und worauf es ankommt – nämlich Datenqualität, Kontext und das Zusammenspiel von Mensch und Maschine – dann sind Sie gewappnet, um die echten Chancen der KI für Ihr Unternehmen zu nutzen.
Neugierig geworden? Im Buch "KI jetzt!", von Mark Brinkmann und Kai Gondlach, erfahren Sie noch mehr über die wahren Potenziale der Künstlichen Intelligenz und wie Sie Mythen von Fakten trennen können. Lassen Sie sich inspirieren und sichern Sie sich Ihren Wissensvorsprung – KI jetzt! ist Ihr Begleiter in die Zukunft der Arbeitswelt.
[1] https://www.cmshs-bloggt.de/rechtsthemen/kuenstliche-intelligenz/ai-washing-vermeiden-rechtssicher-werben-mit-kuenstlicher-intelligenz/
[2] https://x.com/elonmusk/status/1871083864111919134?lang=en
Neues Whitepaper: Industrie 6.0 ... die übernächste Revolution der Industrialisierung
Die industrielle Landschaft steht vor grundlegenden Veränderungen. Während viele Unternehmen noch mit der Umsetzung von Industrie 4.0 beschäftigt sind, treten neue Anforderungen und Rahmenbedingungen in den Vordergrund: ökologische Nachhaltigkeit, technologische Weiterentwicklungen, geopolitische Verschiebungen und veränderte gesellschaftliche Erwartungen.
Das vorliegende Whitepaper formuliert eine visionäre, zugleich praxisnahe Auseinandersetzung mit der Frage, wie industrielle Systeme weiterentwickelt werden können – jenseits kurzfristiger Innovationszyklen und eindimensionaler Effizienzlogik. Es ist eine Einladung zur strukturierten Auseinandersetzung mit der Frage, wie Industrie in einer vernetzten, regenerativen und anpassungsfähigen Form weiterentwickelt werden kann.
Die zugrunde liegende Argumentation folgt dem Spannungsverhältnis von industriellem Rückzug und bewusster Reindustrialisierung: Der teils schmerzhaften Deindustrialisierung der vergangenen Jahrzehnte steht die Chance einer bewusst gestalteten Reindustrialisierung gegenüber – nicht als Rückschritt, sondern als qualitativer Sprung. Inspiriert ist dieser Denkansatz unter anderem durch das Viable System Model von Stafford Beer, das Organisationen als lern- und anpassungsfähige Systeme begreift.
Neben einer Einordnung bestehender Industrieparadigmen bietet das Whitepaper zwei praxisnahe Instrumente: eine Checkliste zur Erhebung des aktuellen Industrie-4.0-Reifegrads sowie eine zur Einschätzung der eigenen Transformationsbereitschaft. Beide sollen dabei helfen, Potenziale und Handlungsbedarfe klarer zu identifizieren.
Neues Whitepaper, neuer Onlineshop
Mit dem neuen Whitepaper beginnt eine neue Ära für die Medien von Kai Gondlach und dem PROFORE Zukunftsinstitut. Unter der Domain www.zukunft.shop haben wir für Sie einen komfortablen Onlineshop eingerichtet, auf dem Sie neben den Whitepapern aus der Feder von Kai Gondlach et al. auch Videos, Bücher und Merchandise finden. Schauen Sie gleich vorbei - und probieren Sie gern den Gutschein-Code "2025KAIGONDLACH50" (ohne Anführungszeichen) aus.
Neue Website online und allgemeines Update
Während der Sommer etwas stockend in Gang kam, waren wir entgegen der längeren Stille hier im Zlog nicht untätig. Im Gegenteil. Wie vielleicht der eine oder die andere schon gemerkt hat, sieht die Website seit Ende Juli anders aus. Wir haben den Relaunch bzw. Facelift einige Monate lang vorbereitet und gemeinsam mit der Speaker Agentur Athenas und den Kollegen in Dänemark umgesetzt. Keine leichte Geburt bei so vielen individuellen Funktionen und Inhalten. Einige davon haben die Überarbeitung nicht überlebt und wurden im besten Sinne in den Ruhestand befördert.
Uns interessiert nun brennend, was Sie und ihr davon halten/haltet. Funktioniert alles? Sind die Inhalte gut auffindbar? Gefallen die Videos? Fehlt etwas? Passt das neue Design gut zur Kernmarke? Wir freuen uns sehr über jede Form von Feedback, gern über das Kontaktformular.
Update von Kai Gondlach & PROFORE im Sommer 2024
Das Jahr begann turbulent und wie es sich für Turbulenzen gehört, wirken sie oft noch nach. Glücklicherweise haben sich einige strategische Entscheidungen in der Unternehmensführung der Kai Gondlach GmbH und der PROFORE Gesellschaft für Zukunft mbH als goldrichtig bzw. bis dato sehr erfolgreich erwiesen. Die Anwendung der Methoden der Zukunftsforschung aufs eigene Unternehmen hat sich wirklich gelohnt, wenn auch - wie es sich gehört - mit einigen Wachstumsschmerzen.
Die Anzahl der Presse- und Medienanfragen hat sich sehr positiv entwickelt, besonders von überregionalen Medien. Das bisherige Highlight des Jahres war natürlich mein Interview mit dem RTL Nachtjournal im Mai, von dem unfassbare 18 Minuten tatsächlich ausgestrahlt wurden. So viel Sendezeit für Zukunftsforschung in einem Top-Medium; ich weiß nicht, ob es das schon einmal gab. Die Zusammenarbeit mit den Kolleg:innen im Berliner Studio hat darüber hinaus auch noch richtig Spaß gemacht, sodass ich mich schon auf zukünftige Sessions dieser Art freue!
Keynote-Update 2024
Die Keynote-Saison 2024 begann erst zögerlich, entwickelte sich dann aber rasch zur intensivsten seit 2019, dem Jahr vor Corona. Und das ist ein wahrer Grund zur Freude, denn das Jahresziel ist nun, da ich diesen Text schreibe, zu 98 Prozent erreicht und der Kalender im zweiten Halbjahr ist gut gefüllt. Vielen Dank an die vielen Menschen, die dies ermöglicht haben und weiterhin ermöglichen! Außerdem 1000 Dank an die zahlreichen Menschen, die ich im Zuge der bisherigen 23 Auftritte dieses Jahres kennenlernen durfte. Mein Highlight war eine Reise nach Oldenburg auf Einladung der dortigen Wirtschaftsförderung - dort traf ich auf ein großes, begeistertes Publikum, wertschätzende Kundengespräche und einen echten DeLorean wie im Film "Zurück in die Zukunft" (und meinem Imagefilm). Der Herbst wird aller Voraussicht nach sehr reiseintensiv und es gibt nur noch wenige Zeitfenster in meinem Kalender, zu denen ich neue Termine annehmen könnte. Einerseits eine schöne Situation, da ich dann in meinem Element bin, andererseits schade, wenn interessante Anfragen aus Kapazitätsgründen abgelehnt werden müssen. Aber heute ist nicht alle Tage, ich komm' wieder, keine Frage!
Buch-Update 2024
In der Zwischenzeit erschien mein erstes Sachbuch "KI jetzt!" Ende April, in dem ich gemeinsam mit dem KI-Experten Mark Brinkmann den Spagat probiert habe, sowohl die wichtigsten Begriffe und Konzepte (und natürlich Zukunftsbilder) von Künstlicher Intelligenz zu beschreiben, als auch konkrete Starthilfe für Führungskräfte in Organisationen zu geben, wie sie KI gewinnbringend implementieren können. Viele positive Rezensionen in diversen Medien lassen den vorsichtigen Schluss zu, dass dieser Spagat ganz gut funktioniert hat, was mich sehr glücklich macht. Immerhin entstand das Buch in kürzester Zeit und zwischendurch erschien der für mich wichtigste Protagonist auf der Bühne meines Lebens - mein Sohn, der inzwischen das erste Lebensjahr mit allen Höhen und Tiefen erfoglreich absolviert hat und unsere Leben durcheinanderwirbelt.
Noch ein wichtiges Buchprojekt wird demnächst veröffentlicht: Gemeinsam mit drei Co-Herausgebenden habe ich in den letzten zwei Jahren einen bislang einzigartigen Sammelband in drei Teilen vorbereitet, an dem über 200 Autor:innen mitgewirkt haben. Die Rede ist von "Regenerative Zukünfte und künstliche Intelligenz" in den drei Bänden PLANET, PEOPLE und PROFIT, welche im Springer VS Verlag und konkret der Sonderserie zu den UN-Nachhaltigkeitszielen (SDG) erscheinen werden. Über 100 Beiträge aus dem großen Spektrum der Nachhaltigkeit auf allen Ebenen haben wir ausgewählt, gelesen, strukturiert und machen sie demnächst verfügbar für die interessierte Öffentlichkeit. Darin enthalten sind sowohl Problembeschreibungen als auch innovative Lösungsansätze, Konzepte und Utopien. Den Verkaufspreis haben wir auf 49,90 Euro reduzieren können, was für Fachbücher dieses Umfangs sehr günstig ist - dafür verzichten wir auf Tantiemen. Warum? Weil wir möchten, dass die wertvollen Inhalte eine möglichst große Zielgruppe erreichen! Zudem gibt es wohl kaum einen besseren Beweis für intrinsische Motivation, als ein solches Mammutprojekt pro bono zu stemmen. Umso dankbarer sind wir, wenn diese Botschaft bei möglichst vielen Gelegenheiten weitererzählt wird! Der erste und zweite Band erscheinen noch in diesem Jahr, PROFIT folgt dann Anfang 2025.
Derweil hat meine Co-Herausgeberin von "Arbeitswelt und KI 2030" (Springer Gabler), Dr. Inka Knappertsbusch, die zweite, erweiterte Auflage des Bestsellers (über 700.000 Zugriffe allein bei Springer!) maßgeblich vorangetrieben und organisiert. Ein paar Beiträge konnte ich auch lesen und korrigieren und kann schon jetzt sagen: Das Update wird noch besser als das Original und mit fast doppelt so vielen Beiträgen auch deutlich umfangreicher. Das Veröffentlichungsdatum steht noch nicht fest; bei Linkedin werde ich auf jeden Fall darüber berichten, vermutlich auch im Newsletter.
Last but not least habe ich ein neues Buchprojekt gestartet. Dabei handelt es sich wieder um ein Sachbuch, bei dem ich mich als Co-Autor eingeklinkt habe. Viel darf ich über den Inhalt noch nicht verraten, aber so viel: Es besetzt eine einzigartige Nische im Business-Bereich und wird auch stilistisch für viele neuartig sein. Ein Veröffentlichungsdatum gibt es noch nicht, da die Verlagsabsprachen noch laufen. Stay tuned!
PROFORE-Update 2024
Ein paar Takte zum unternehmerischen Big Picture. Das PROFORE Zukunftsinstitut wird in diesen Tagen zwei Jahre alt und hat damit den wichtigsten Meilenstein für ein junges Unternehmen geschafft! Jetzt sind wir sogar KfW-kreditwürdig 😇 Der Beiname "Zukunftsinstitut" ist natürlich ein kleiner Sidekick zu den Kolleg:innen nach Frankfurt, das Geschäftsmodell und die Angebote könnten in derselben Branche kaum unterschiedlicher sein. Was PROFORE auszeichnet, ist seine Dezentralität, Agilität und der klare Fokus auf Erkenntnisvermehrung der Kundschaft. Wir machen keinen Outbound-Vertrieb, sondern stellen für jedes Projekt einzigartige und kompetente Teams zusammen.
Aktuell realisieren wir mit einem kleinen Team eine wahnsinnig spannende und zukunftsweisende Szenarioanalyse in der Immobilienwirtschaft. Darüber wird es ab November mehr Infos geben. Nur so viel: Nach einigen Monaten Recherche, vielen Interviews und einer Online-Befragung ergaben sich 460 Milliarden verschiedene Szenarien, die wir computergestützt errechnet haben, was selbst mit einem Hochleistungscomputer mehrere Tage gedauert hat. Cliffhanger: Die Arbeit hat sich gelohnt! Darüber hinaus macht die Foresight Akademie wichtige Schritte in die richtige Richtung. Was dahintersteckt, wird schon bald im Newsletter kommuniziert werden.
Derweil arbeite ich mit einem völlig anderen Team an einer Startup-Idee, die das Potenzial hat, den demografischen Wandel und die angespannte Fachkräftesituation nachhaltig zu verändern. Mehr kann ich natürlich noch nicht verraten, damit will ich nur sagen: Meine Interpretation von Zukunftsforschung beinhaltet durchaus auch die aktive Zukunftsgestaltung 😉
Fazit
Das Jahr 2024 ist alles andere als entspannt oder geradlinig verlaufen und mit diesem Befund bin ich ganz sicher nicht allein. Die Nachfrage nach seriösen Zukunftsanalysen hat sich nach Corona- und Ukraine-Schock endlich erholt, was mich als intrinsischen
Kai Gondlach im RTL Nachtjournal
Neulich war ich zu Gast bei RTL im Hauptstadtstudio, um Auskunft über die Zukunft zu geben. Moderatorin Clara Pfeffer hat mich im Nachtjournal Spezial sehr lang über meine Einschätzungen zu aktuellen Themen und deren mögliche Zukünfte ausgefragt:
https://plus.rtl.de/video-tv/shows/rtl-nachtjournal-spezial-177848/2024-5-1002693/episode-62-rtl-nachtjournal-spezial-interview-mit-dem-zukunftsforscher-kai-gondlach-970090
Die Fragen drehten sich natürlich um wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklungen. Ich sprach die aktuelle Rezession, aber auch die Reindustrialisierung an - das "grüne Wachstum", das einerseits von der Industrie und Beschäftigten teilweise noch kritisch beäugt wird, andererseits sind deutsche Firmen und Beschäftigte teilweise Pioniere. Wohnungsmangel, Resilienz, Privilegien - viele Themen haben wir besprochen. Und natürlich Künstliche Intelligenz (KI). Die Frage: Ist das eine Revolution? "In zehn Jahren werden wir uns wundern, was für sinnlose Prozesse und Arbeitsschritte wir damals noch als Menschen haben ausführen müssen", sage ich an einer Stelle.
Schön, dass RTL als Massensender das Thema Zukunftsforschung so prominent positioniert. Ich wünsche mir mehr davon - gern mit Kolleg:innen aus der Zukunftsforschung. Im Zweifel vermittle ich sehr gern.
Buch "KI jetzt!" erscheint bald!
Am 25. April erscheint mein neues Buch „KI jetzt!“ im GABAL Verlag, das ich mit KI-Führungskraft (Schwarz IT) Mark Brinkmann geschrieben habe. Es richtet sich an alle, die nicht bei ChatGPT stehen bleiben möchten, sondern mehr über Künstliche Intelligenz wissen möchten – oder müssen. Denn eins steht fest: KI ist gekommen, um zu bleiben.
Im Grußwort schreibt Deepa Gautam-Nigge, Vice President Corporate Development bei SAP SE und Aufsichtsrätin bei Aleph Alpha:
Das vorliegende Buch »KI jetzt!« ist dafür ein erster Atlas und wichtiger Kompass, um sich entlang der wichtigen Routen zu orientieren. Es schafft Verständnis für die Topografie des Geländes: Es liefert in sieben Schritten ein kurzes Grundlagentraining zum KI-Profi. Dazu gibt es mit 22 plastischen Anwendungsfällen die ersten vordefinierten Pfade. Mit diesem Wissen kann man dann die ersten Schritte abseits der beschriebenen Wege wagen, um Neues zu entdecken.
»KI jetzt!« – gehen wir’s an!
In diesem Sinne richtet sich das Buch wirklich an alle Menschen und Organisationen, die mehr KI brauchen: Führungskräfte, Arbeitssuchende, Fachkräfte, Studierende, Senior:innen. Mehr Informationen und Vorbestellung:
Keine Angst vor der Zukunft
Heute durfte ich beim Bundesverband der Vertriebsmanager Grußworte (ca. 20 Minuten) an die Mitglieder richten. Das Thema sollte einerseits um "Angst vor der Zukunft" kreisen, andererseits einen positiven Ausblick in plausible Zukünfte vermitteln. Da das Event online stattfand, habe ich mich gegen die "klassische" Variante mit einer Powerpoint-Präsentation entschieden und stattdessen einen Nachdenktext vorgetragen. Diesen möchte ich nun auch hier veröffentlichen und wünsche viel Spaß & Erkenntnis.
Intro
- Moin. Ich bin ein echter Zukunftsforscher, das heißt, ich habe unter anderem den Masterstudiengang Zukunftsforschung studiert. Ich arbeite seit 11 Jahren daran, aktuelle Trends zu verstehen und Einschätzungen zu möglichen Szenarien zu geben.
- Das tue ich unter anderem als Inhaber des PROFORE Zukunftsinstituts, als Keynote Speaker, Autor und Podcaster.
- Vielleicht fragen sich jetzt einige, ob ich die Zukunft auch vorhersagen kann. Nein, kann ich nicht. Aber ich lag schon oft richtig: Corona habe ich Mitte 2019 angekündigt, fast ein Jahr vor dem Beginn der Pandemie. Den Krieg in der Ukraine habe ich in meinem Podcast Ende 2021 thematisiert, also rund ein Vierteljahr vor dessen Beginn. Mein Whitepaper über Künstliche Intelligenz erschien im Oktober 2022 – zwei Monate vor ChatGPT.
- Damit will ich nicht sagen, dass ich die Zukunft doch irgendwie vorhersehen kann, sondern dass die Methoden der wissenschaftlichen Zukunftsforschung verdammt gut darin sind, kommende Entwicklungen früher als die Allgemeinheit zu erkennen.
- Aber heute wurde ich gebeten, einen Impuls zum Thema „Zukunftsangst“ vorzubereiten. Dafür habe ich keine Präsentation vorbereitet, wie sonst bei Keynotes und anderen Gelegenheiten, sondern ganz old fashioned einen Text für euch geschrieben.
- Und der geht so.
Keine Angst vor der Zukunft
Angst ist eine reale, unmittelbare Emotion.
Der Angst-Teil unseres Gehirns, die Amygdala, hat Vorfahrt vor den meisten anderen neurologischen Vorgängen. Aus evolutionärer Sicht ist Angst überlebenswichtig für jede Spezies, denn sie hält uns oft von dummen Entscheidungen ab und sagt unseren Gliedmaßen eher: „LAUF!“ statt „mal abwarten, ob das Rascheln im Busch ein Tiger oder eine Tüte Popcorn ist“
Angst wird allerdings oft mit Furcht verwechselt: Angst ist der allgemeine Gefühlszustand im Hinblick auf die Zukunft, auf mögliche Ereignisse, die uns oder unseren Liebsten zustoßen könnten. Unser Gehirn simuliert permanent etwa eine Sekunde in die Zukunft, was als nächstes total schiefgehen könnte, weshalb wir in manchen Situationen erstaunlich schnelle Reflexe haben – wenn etwa jemand ein Glas vom Tisch stößt. Das ist dann weniger Angst als aufmerksame Beobachtung mit allen Sinnen.
Furcht wiederum ist die gerichtete Form der Angst: Ich fürchte mich vor Spinnen in meinem Bett, ich fürchte, dass das Glas vom Tisch fällt und ich mich daran schneide; ich fürchte mich vor einem Fahrradunfall auf dem Weg zur Arbeit, ich fürchte, dass die Faschisten in den sächsischen Landtag einziehen und die Demokratie zerstören.
Ich persönlich kenne Angst und Furcht sehr gut. Ich bin Traumapatient seit einer privaten Tragödie vor einigen Jahren; vor fast 3 Jahren habe ich einen schweren Fahrradunfall überlebt; ich habe einen 7 Monate alten Sohn, der letztes Wochenende in der Klinik am Beatmungsgerät hing.
Angst ist allgegenwärtig.
Wir fürchten uns ja auch in der Freizeit wirklich gern: Fällt euch ein Science-Fiction-Film ein, der eine komplette Utopie einer perfekten Welt beschreibt? Ich kenne keinen. Horror und Actionfilme funktionieren nur, wenn wir uns auch gruseln oder fürchten lassen, dass zum Beispiel der Protagonistin etwas zustößt – James Bond hätte nicht funktioniert, wenn der am Ende nicht immer wieder die Welt gerettet hätte.
Angst ist sexy, make Angst great again!
… aber doch bitte nur mit Happy End!
Die deutsche Gesellschaft kennt Angst besser als jede andere, weshalb uns oft die „German Angst“ zugeschrieben wird. Wir haben Angst vor Veränderung, Angst vor dem Statusverlust durch eine diversere Gesellschaft oder hohe Inflation. Wir haben Angst vor Innovationen, die die Erfindungen unserer Vorfahren obsolet machen könnten, Angst, dass uns die Politik das Auto verbietet oder Gender-Sternchen aufzwingt. Wir haben Angst vor Putin, Angst vor Trump, Angst vor Xi Jinping.
Angst ist also nicht einfach nur unser Hobby, Angst ist unsere Berufung.
Dabei ergaben diverse Umfragen selbst während der Corona-Pandemie, dass die Menschen hierzulande meistens Angst vor diffusen Schreckensbildern haben – privat und beruflich schätzt eine überwältigende Mehrheit ihre individuelle Zukunft sehr zuversichtlich ein. Wie passt das zusammen? Sind wir individuell naiv-optimistisch, aber kollektiv krankhaft-paranoid?
Mein Eindruck ist, dass uns gesellschaftlich das Verständnis einer gesunden Angst, die uns zu vernünftigen Entscheidungen leitet, abhandengekommen ist. Angst und Furcht sind keine Phänomene, die es nur in schwarz und weiß gibt, sondern auch in allen Farben dazwischen. Das ist eine zentrale Erkenntnis, wenn man sich Gedanken über die Zukunft machen möchte, die nicht durch Angst verzerrt sind.
[PAUSE]
Ich bin Zukunftsforscher, Soziologe und Politikwissenschaftler. Ich genieße das fabelhafte Privileg, sehr häufig sehr klugen Menschen und mir selbst immer wieder die Frage stellen zu dürfen:
Welche anderen Perspektiven als Angst oder Zweifel können wir auf die Zukünfte richten?
Wir alle befassen uns mehr oder weniger strukturiert mit der Zukunft. Urlaubsplanung, Steuererklärung, Einkaufsliste, Rentenversicherung, Weihnachtsgeschenke. Paradoxerweise findet aber Zukunft für die meisten Menschen in der Regel kaum explizit statt.
Unser Bildungssystem ist ein verheerendes Beispiel dafür: Junge Menschen sollen Gehorsam lernen, sollen das Wiedergeben der Lehrpläne perfektionieren, es geht mehr ums Verwalten des Status Quo als das Erdenken und Gestalten der Zukunft. Und das wird uns gerade gesellschaftlich mit einiger Brutalität zurückgespiegelt.
Denn: Wer nicht nach einer plausibel erreichbaren Zukunft strebt, wird destruktiv oder depressiv. Das gilt für einzelne Personen genauso wie für Gesellschaften. Leider zieht sich dieser eklatante Zukunftsmangel bis in die höchsten politischen Ämter durch.
„Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen“, hat Altkanzler Helmut Schmidt einst gesagt und ist damit der geistige Vater der Zukunftslosigkeit ganzer Generationen. Dass er das nicht so gemeint hat, hilft uns leider nicht mehr.
Doch ich möchte eure Zeit bei diesem Neujahrsempfang nicht mit Lamentieren vergeuden, denn Experten für Nörgelei gibt es wahrlich genug. Stattdessen möchte ich euch ab jetzt ausgewählte plausible, erreichbare positive Zukunftsszenarien der nächsten paar Jahrzehnte erzählen. Sie basieren auf den Erkenntnissen der seriösen Zukunftsforschung, sind also technologisch machbar und unter der Annahme wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Interessen konsistent – das heißt, sie widersprechen nicht anderen naturwissenschaftlichen Gesetzen und gängigen Prognosen.
Willkommen im Jahr 2050!
Lasst uns ausschließlich einen Blick auf die guten Errungenschaften werfen.
1. Gesundheit
Seit der Entdeckung der Genschere CRISPR/Cas9 im Jahr 2013 ist es möglich, die genetische Struktur von Lebewesen zu verändern. Und wir wissen ja längst, dass viele Gesellschaftskrankheiten durch bestimmte Kombinationen bzw. Prädispositionen der Gene begünstigt werden. Die gute Nachricht ist also: Im globalen Norden gibt es 2050 kaum noch bekannte Fälle von Diabetes, Alzheimer-Demenz, Parkinson, multipler Sklerose und selbst Krebs tritt nur noch selten auf und verläuft fast nie tödlich!
Künstliche Organe liegen in großen Organdatenbanken bereit für den Fall, dass durch einen Unfall oder eine unvorhergesehene Krankheit die Leber, Lunge oder das Herz ersetzt werden muss. Diese Datenbanken werden von den Krankenkassen verwaltet – die Premiumvariante ist natürlich auch im Jahr 2050 den Superreichen vorbehalten. Sie lassen sich besonders leistungsfähige Organe anfertigen, die nicht nur dann ausgetauscht werden, wenn die erste Version nicht mehr funktioniert. Schönheits-OP 2.0, sozusagen. Nur das Gehirn konnte bislang nicht dupliziert werden, aber das ist vielleicht auch gut so.
Natürlich gibt’s trotzdem noch diverse weniger schlimme Krankheiten; Körper und Geist brauchen auch gelegentliche Erkältungen, zudem entstehen immer neue Viren und Bakterien. Aber auch dagegen gibt’s ein Wundermittel: Mithilfe von Quantencomputern und künstlicher Intelligenz werden für bestimmte Krankheitsbilder seit vielen Jahren individualisierte Arzneimittel hergestellt.
Tatsächlich hat das zwei erstaunliche Entwicklungen begünstigt. Das eine ist, dass Menschen heutzutage sehr viel gesünder altern. Viele Alterskrankheiten und Todesursachen sind schlicht nicht mehr nötig. Heute ist es keine Seltenheit mehr, dass 90-Jährige einen Marathon laufen oder als Nachhilfelehrer ihre Rente aufbessern. Das zweite ist, dass einige wenige Menschen weit über 100 Jahre alt werden. Das liegt daran, dass nicht nur die Krankheiten heilbar wurden, die sonst den Tod bedeutet haben, sondern auch erste Mittel zugelassen wurden, die den Alterungsprozess einfrieren oder sogar umkehren! Der älteste Mensch ist im Jahr 2050 stolze 140 Jahre alt und auf dem körperlichen und mentalen Stand wie ein 50-Jähriger. Das verleiht einigen gesellschaftlichen Konzepten eine völlig neue Bedeutung: Was kostet eine Lebensversicherung? Wann gehen wir in Rente? Wie lange muss ich zur Schule gehen, wenn ich danach noch über 100 Jahre arbeiten werde? Wer heiratet noch, wenn „bis dass der Tod uns scheidet“ kein Ablaufdatum mehr hat? Brauchen wir ein Enddatum, zu dem das Leben enden soll?
2. Mobilität
Das Wichtigste vorweg: Ja, es gibt Flugtaxis. Gab es ja zu eurer Zeit auch schon, zumindest in Dubai und einigen anderen Orten der Welt. Auch in Deutschland sind sie inzwischen angekommen und entlasten den Verkehr auf den Autobahnen und in Ballungsgebieten zunehmend. Der größte Vorteil ist gar nicht unbedingt die individuelle Mobilität, sondern dass man dafür kaum Infrastruktur braucht. Immerhin gab es zu eurer Zeit rund 600 stillgelegte Kleinflughäfen, die inzwischen als Mobility Hubs genutzt werden.
Aber natürlich besitzt man kein Flugtaxi für den Privatgebrauch, sondern man mietet sich eins – einen Flugschein braucht man dafür nicht, weil es komplett autonom von A nach B steuert. Keine Angst: Es herrscht kein Chaos am Himmel, denn wie es sich für Deutschland gehört, sind die erlaubten Korridore recht eingeschränkt.
Aber überhaupt ist der Privatbesitz eines Fahrzeugs, das kein Fahrrad ist, im Jahr 2050 eher eine Seltenheit. Es ist seit Jahren viel einfacher und günstiger, ein Fahrzeug für den aktuellen Nutzungszweck zu mieten, als mehrere Tonnen Metall zu kaufen, zu versichern und für dessen Unterhalt zu sorgen. Sehr merkwürdiges Konzept, das ihr zu eurer Zeit noch „normal“ nennt. Selbstfahrende Autos, wie ihr sie euch vorstellt, gibt es trotzdem in der Form noch sehr wenig – das liegt daran, dass die Städte dafür einfach nicht geeignet sind. Außerorts ist das natürlich was anderes.
Derweil ist das Streckennetz im Schienenverkehr deutlich gewachsen, sodass die überregionale Bahnmobilität deutlich angenehmer wurde. 100 Prozent Pünktlichkeit bekommen wir trotzdem noch nicht hin, das ist weiterhin Zukunftsmusik 😉
3. Künstliche Intelligenz
KI ist im Jahr 2050 so normal und allgegenwärtig wie zu eurer Zeit die Verwendung von Smartphones. Im Arbeitsalltag heißt das: Die meisten Erwerbstätigen haben einen KI-Kollegen, der sie bei fachlichen Fragen, bei der Einhaltung des Freizeitausgleichs und für sämtliche Korrespondenz unterstützt. Das heißt auch, dass alle jetzt einen persönlichen Coach zur Stelle haben, mit dem sie konzeptionelle Fragen durchspielen oder die Selbstverwirklichung vorantreiben können. Ähnlich wie die Sozialabgaben werden die Kosten für diese KIs über einen kleinen Gemeinwohlbeitrag vom Bruttolohn abgezogen.
Es gibt keine Unternehmen und öffentliche Einrichtungen mehr, in denen KI nicht Standard ist. Alle Organisationen, die sich zu eurer Zeit nicht mit KI beschäftigt haben, gibt es schlicht nicht mehr. In einer Übergangszeit waren also einige Menschen arbeitslos, haben sich aber dann mit den Möglichkeiten von KI befasst und dann eine neue Existenz aufgebaut. Eine 40-Stunden-Woche gibt es längst nicht mehr, klar arbeiten einige so viel oder auch mehr, aber nicht mehr nur in einem Job. Die meisten haben nämlich auch ein zweites Standbein in Form einer freiberuflichen Arbeit oder eines Kleingewerbes, mit dem sie ihren Traum verwirklichen und dabei trotzdem noch gutes Geld verdienen. Ob das nun ein Job im Metaverse oder eine eigene Gärtnerei ist, spielt dabei keine Rolle.
Eine der markantesten Entwicklungen ist die Verschmelzung von KI und Mensch. Es gibt einige wenige, die sich tatsächlich kleine Computerchips direkt ins Gehirn transplantieren lassen, um unmittelbar per Gedankenkraft mit der KI kommunizieren zu können.
Wäre das was für euch?
4. Nachhaltigkeit
Zwar sind viele Prognosen aus eurer Zeit in Bezug auf den Klimawandel leider eingetreten, doch vieles hat sich auch zum Guten gewendet. Durch massive Anstrengungen der internationalen Staatengemeinschaft und der Zivilgesellschaft hat sich die Biodiversität nahezu erholt. Das hatte auch damit zu tun, dass seit etwa 2030 die Massentierhaltung verboten wurde – einer der wichtigsten Emittenten von Treibhausgasen. Es gibt zwar noch Fleisch von echten, toten Tieren im Handel, doch das ist sehr teuer. Stattdessen wird es für 95 Prozent des Verbrauchs künstlich hergestellt und zwar genau dort, wo es auch verbraucht wird: Im Supermarkt, Restaurant, der Kantine, im Zug oder Flugzeug. Das ist übrigens auch viel gesünder für die Menschen, hat aber trotzdem eine Weile gedauert, bis sich die Ernährungskultur darauf eingestellt hat. Die Technologie dahinter war zu eurer Zeit längst erforscht, doch die preisliche Wettbewerbsfähigkeit brauchte noch ein paar Jahre. Irgendwann fand es dann die Mehrheit der Gesellschaft barbarisch, lebendige Tiere zu schlachten, um ein leckeres Steak zu essen – und das kommt schneller als einige von euch heute vielleicht noch denken.
Stichwort Wettbewerbsfähigkeit: Wir haben ein Energieproblem im Jahr 2050, aber nicht das, was ihr jetzt denkt… wir haben nicht zu wenig, sondern ZU VIEL ENERGIE! Das liegt daran, dass der Ausbau Erneuerbarer Energien aus Wind, Sonne und Wasser so rasend schnell ging, dass Haushalte und Gewerbeimmobilien sich inzwischen fast komplett selbst versorgen können. Dazu kommen aber noch zwei weitere, disruptive Faktoren: Erstens ist die Kernfusion, die ja seit 2022 erwiesenermaßen funktioniert, seit ein paar Jahren auch kommerziell interessant geworden. Deshalb haben die meisten Staaten Kernfusionsreaktoren, die nahezu unendlich viel Energie erzeugen können. Zweitens haben wir aber auch riesige Photovoltaikanlagen im Weltall, die Sonnenenergie direkt dort oben einsammeln und per Mikrowelle an Stationen auf der ganzen Welt und dem Mond senden – wir dürfen ja nicht unsere Mitmenschen auf Mond und Mars vergessen, die haben ja auch Bedürfnisse. Das heißt also: Wir haben Energie im Überfluss und „müssen“ uns immer wieder neu überlegen, wie wir noch mehr Strom verbrauchen können, damit die Energienetze nicht überlasten. Für die Großindustrie ist das natürlich etwas anders, aber mit dem vielen Strom gibt es seit wenigen Jahren ein globales Netz für grünen Wasserstoff und das funktioniert erstaunlich gut.
Ach ja, Müll gibt’s auch nicht mehr. Seit den 2030er Jahren ist es weltweit vorgeschrieben, dass Unternehmen für das Recycling und Upcycling ihrer Produkte verantwortlich sind. Das hat komplett den Anreiz zerstört, möglichst schnell möglichst viele Produkte herzustellen, die irgendwo auf der Welt gekauft, benutzt und entsorgt werden. Stattdessen leben wir inzwischen in einer echten Kreislaufwirtschaft, in der alle Gegenstände und selbst defekte Geräte als Rohstoff wieder aufgewertet werden können und müssen. Das Paradigma hat sich entsprechend von schnellem Konsum bzw. schnellen Gewinnen gewandelt zu hochwertigen, langlebigen und problemlösenden Erzeugnissen. Dadurch sind auch viele Länder des globalen Südens immer schneller wirtschaftlich vorangekommen – seit das Energieproblem kein Problem mehr ist, haben sich die Währungen stabilisiert, Inflation ist überall moderat und es entstand vielerorts eine kreative, sehr facettenreiche neue Ökonomie. Das Zeitalter des Turbokapitalismus wurde abgelöst von einer für alle Lebewesen und Ökosysteme gewinnbringenden Form des Postkapitalismus. Ich meine nicht die Hippie- oder Trotzki-Version, sondern einen Kapitalismus, der andere Währungen kennt als Geld, nämlich das Gemeinwohl von Menschen überall auf dem Planeten und der Natur.
Zurück ins Jahr 2024.
Ich wette, dass diese Ausführungen einigen von euch im wahrsten Sinne fantastisch vorkommen – also basierend auf Fantasie. Doch hinter jedem einzelnen stecken nennenswerte Stränge in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Dieses Jahr erscheinen unter anderem drei Sammelbände von mir, die einige der genannten Themen unterfüttern – und ein Handbuch für KI in Unternehmen namens „KI jetzt!“.
Nach vielen Jahren und hunderten Mandaten im Kontext der seriösen Zukunftsforschung bin ich überzeugt: Wir sollten öfter über unsere positiven Zukunftsbilder sprechen. Und auch darüber streiten. Denn es ist ja offensichtlich, dass mein Blick in die Zukunft ein anderer ist als der meiner Nachbarin oder eines Kindes, das gerade in Lagos aufwächst. Doch wir werden uns und unsere Welt nicht retten, wenn wir nur über die Schattenseiten sprechen. Lasst uns häufiger und strukturierter über schöne Zukünfte sprechen.
Dann klappt’s auch mit der Angst, das verspreche ich euch.
Vielen Dank fürs Zuhören!
Foto von Etienne Girardet auf Unsplash










