Daten sind der Treibstoff – aber Kontext ist der Schlüssel

Ohne Daten keine KI. Dieser Satz klingt fast trivial, doch er wird im KI-Alltag oft vergessen. Algorithmen lernen aus Beispielen – je mehr und je besser die Daten, desto leistungsfähiger das KI-Modell. Aber Vorsicht: Daten alleine genügen nicht. KI braucht Kontext und Daten: Ohne qualitativ hochwertige Daten bleibt jede KI blind; entscheidend ist, wie Daten interpretiert und genutzt werden. Mit anderen Worten: Daten sind der Treibstoff, aber erst der richtige Kontext fungiert als Zündschlüssel, um daraus brauchbare Intelligenz zu erzeugen.

In diesem Beitrag zeigen wir, warum die Qualität und Herkunft der Daten über den Erfolg von KI-Projekten entscheidet. Außerdem betrachten wir, wie Bias – also Verzerrungen in Daten – KI-Ergebnisse verfälschen kann, und warum Erklärbarkeit (Explainable AI) für Vertrauen und Akzeptanz unabdingbar ist.

Gute Daten, gute KI – Schlechte Daten, schlechte KI

Eine KI ist nur so gut wie ihre Trainingsdaten. Werden falsche, veraltete oder lückenhafte Daten eingespeist, kann kein noch so raffinierter Algorithmus korrekte Schlüsse ziehen. Die Praxis hat gezeigt: Wenn Daten aus dem Kontext gerissen oder fehlerhaft sind, produziert auch die KI Fehler. Übrigens stellt sich auch die Rechtsfrage, welche Daten man nutzen darf: Medienhäuser wie die New York Times gehen bereits juristisch gegen KI-Anbieter vor, die ihre Artikel zum Training verwenden – ein Hinweis darauf, wie wertvoll hochwertige Daten geworden sind[1]. Beispielsweise musste ein Chatbot von Microsoft namens „Tay“ 2016 offline genommen werden, weil er in sozialen Netzwerken mit beleidigenden und rassistischen Aussagen auffiel – er hatte von Nutzern gelernt, die ihn mit toxischen Inhalten gefüttert hatten[2]. Die Lektion daraus: Ohne Filter und Kontext übernimmt KI ungeprüft auch die dunkelsten Facetten ihrer Datenquellen.

Andererseits entfaltet KI ihre Stärken, wenn sie mit umfangreichen, repräsentativen und aktuellen Daten trainiert wird. Ein Modell für Absatzprognosen, das alle relevanten Marktdaten und saisonalen Effekte berücksichtigt, wird verlässlichere Vorhersagen treffen als eines, das nur auf dem letzten Jahr basiert. Wichtig ist auch, den Kontext zu verstehen: Ein Datenmuster kann verschiedene Bedeutungen haben, je nach Umfeld. Daher sollten KI-Systeme – oder die Menschen, die sie nutzen – die Ergebnisse stets im Gesamtkontext betrachten, statt blind dem Zahlenoutput zu vertrauen.

Wenn Vorurteile zum Problem werden: Bias in Trainingsdaten

Daten erzählen immer eine Geschichte – aber manchmal eine einseitige. Ein zentrales Risiko bei KI-Trainingsdaten sind Biases, also Verzerrungen, die bestimmte Gruppen benachteiligen oder falsche Schlüsse begünstigen. KI-Systeme selbst haben keine Ideologie und keine Absicht zu diskriminieren. „Das heißt nicht, dass die Systeme an sich diskriminieren »wollen«, es unterstreicht einfach, dass sie nicht denken können. Sie sind immer nur so gut wie ihre Trainingsdaten und die einprogrammierten ethischen Rahmen“ (KI jetzt!, S.  34). Mit anderen Worten: Wenn das Datenmaterial voreingenommen ist, wird es die KI zwangsläufig widerspiegeln.

Ein bekanntes Beispiel: Ein Unternehmen nutzte eine KI, um Bewerbungen zu filtern, stellte dann aber fest, dass das System Frauen systematisch benachteiligte. Warum? Die KI wurde mit historischen Bewerberdaten trainiert, in denen – bedingt durch frühere Personalentscheidungen – vor allem Männer eingestellt worden waren. Der Algorithmus lernte daraus ungewollt, Männer zu bevorzugen. Häufig diskriminieren KI-Anwendungen eher fahrlässig bestimmte Personengruppen, weil sie schlecht trainiert wurden (KI jetzt!, S.  34). Nicht die KI „wollte“ diskriminieren, sondern die Verzerrung lag in den Daten.

Ein oft zitiertes Beispiel für unbeabsichtigte Diskriminierung durch Technik ist der berüchtigte „rassistische Seifenspender“: Ein automatischer Spender gab nur hellhäutigen Personen Seife aus – bei Menschen mit dunkler Haut blieb er stumm. Der Grund war eine Fehlkalibrierung des Sensors, der auf Hautreflexion reagierte. Hier wurde niemand absichtlich benachteiligt; vielmehr war das System unzureichend auf Vielfalt getestet.

Solche Fälle machen deutlich, wie wichtig Diversität und Sorgfalt bei der Datenaufbereitung sind. Entwickler:innen müssen Datensätze prüfen und bereinigen, um offenkundige Schieflagen zu korrigieren. Zudem empfiehlt es sich, KI-Ergebnisse laufend zu überwachen: Zeigen sich systematische Benachteiligungen oder seltsame Ausreißer, ist menschliches Eingreifen gefragt. Die EU hat im kommenden AI Act (dem EU-Gesetz für Künstliche Intelligenz) strenge Vorgaben festgelegt, um Bias in KI-Systemen zu minimieren. Hochriskante KI-Anwendungen – etwa in der Personalwahl, im Bildungssystem oder der Strafverfolgung – sollen nur zugelassen werden, wenn nachgewiesen ist, dass diskriminierende Effekte weitestgehend ausgeschlossen sind.[3]

Black Box KI? Erklärbarkeit schafft Vertrauen

Nicht nur die Daten, auch die Transparenz einer KI ist entscheidend. Viele KI-Systeme agieren wie Black Boxes: Sie liefern ein Ergebnis, ohne dass man genau nachvollziehen kann, warum. Das ist problematisch, wenn die KI wichtige Entscheidungen trifft, etwa über einen Kredit oder eine medizinische Diagnose. Hier kommt XAI – erklärbare KI ins Spiel: Nachvollziehbarkeit wird zur zentralen Anforderung, damit Entscheidungen von KI-Systemen transparent und vertrauenswürdig bleiben. Nutzer:innen und Betroffene haben ein Recht darauf zu verstehen, wie ein Algorithmus zu seinem Urteil gelangt ist.

Erklärbarkeit bedeutet beispielsweise, dass eine KI die wichtigsten Einflussfaktoren für ihre Prognose benennen kann: „Kredit abgelehnt, weil Einkommen unter Schwelle X und negative Schufa-Einträge“. Solche Info schafft Vertrauen und ermöglicht es, Entscheidungen zu überprüfen. Verschiedene Methoden – von einfachen Entscheidungsbäumen bis hin zu komplexen Explainable-AI-Visualisierungen – helfen dabei, Licht ins Dunkel neuronaler Netze zu bringen. Unternehmen, die KI einsetzen, sollten auf solche Features achten. Die Nachvollziehbarkeit ist übrigens auch ein zentraler Bestandteil des EU AI Act: Anbieter müssen je nach Risikostufe erklären können, wie ihr System funktioniert und auf welcher Datengrundlage.

Context is King: Manipulation erkennen und vermeiden

Selbst mit guten Daten und Erklärbarkeit bleibt eine weitere Herausforderung: KI-Systeme können durch geschickt gewählten Input aus dem Tritt gebracht werden. Moderne Chatbots haben eine faszinierende Fähigkeit, Texte zu generieren – doch sie sind manipulierbar! Ein prominentes Beispiel ist das sogenannte Prompt Injection: Dabei formulieren Nutzer:innen Eingaben so, dass sie die KI dazu verleiten, ihre ursprünglich einprogrammierten Regeln zu umgehen. Plötzlich spuckt der Chatbot geschützte Informationen aus oder erzeugt unerwünschte Inhalte, nur weil der Kontext der Anfrage ihn geschickt in die Irre geführt hat.

Diese Anfälligkeit zeigt, dass KI immer im Kontext ihrer Verwendung betrachtet werden muss. Ein ChatGPT, das im Firmennetz werkelt, sollte beispielsweise nicht unbeaufsichtigt Zugang zu sensiblen Daten haben – jemand könnte ihm via Prompt-Injection-Trick vertrauliche Infos entlocken. Anbieter reagieren auf solche Risiken: Anthropic hat sein neuestes Modell Claude 3 mit verstärkten Sicherheitsmaßnahmen versehen, und OpenAI schult GPT-4o und 5 darauf, systemseitige Anweisungen (die sog. „Guardrails“) nicht zu ignorieren. Doch ein Allheilmittel gibt es nicht: Menschliche Wachsamkeit bleibt wichtig. Die KI liefert Vorschläge – ob diese sinnvoll oder gefahrlos sind, muss im Zweifel ein Mensch beurteilen.

Fazit: Datenqualität, Fairness und Transparenz zahlen sich aus

Wer KI erfolgreich einsetzen will, darf die Grundlagen nicht vernachlässigen. Hochwertige, repräsentative Daten und ein gutes Verständnis des Anwendungskontexts sind das A und O. Die teuerste KI-Plattform nützt nichts, wenn der Datentreibstoff von schlechter Qualität ist oder in die falsche Richtung führt. Genauso essenziell ist es, Bias zu erkennen und zu beseitigen, bevor eine Anwendung live geht – im Zweifelsfall mit vielfältigen Testdaten und Feedbackschleifen. Das stellt besonders KMU vor enorme Voraussetzungen, die bislang kaum oder gar nicht systematisch Daten über ihre Prozesse erfasst haben.

Transparenz und Erklärbarkeit sind keine Kür, sondern Pflicht: Sie schaffen Vertrauen bei Nutzer:innen, Kunden und Behörden. Unternehmen im Mittelstand sollten frühzeitig dafür sorgen, dass ihre KI-Systeme zumindest grundlegende Erklärbarkeitsfunktionen bieten. So lassen sich Entscheidungen intern wie extern besser vermitteln.

Am Ende gilt: Kontext ist der Schlüssel. KI entfaltet ihr Potenzial nur in einem Umfeld, das sie versteht – und das die Menschen verstehen, die mit ihren Ergebnissen arbeiten. Wer Daten und Kontext beherrscht, hat den wichtigsten Schritt getan, um mit KI echten Mehrwert zu schaffen, statt in Datenfallen zu tappen.

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[1] https://www.theguardian.com/media/2023/dec/27/new-york-times-openai-microsoft-lawsuit

[2] https://www.bbc.com/news/technology-35890188

[3] https://www.europarl.europa.eu/news/en/press-room/20240308IPR19025/economic-coordination-prioritise-investment-and-reform-eu-economies-meps-say


Zukunftsforscher-FAQ (Teil 2)

Der erste Teil meiner Zukunftsforscher-FAQ kam so gut an, dass mich diverse weitere Fragen erreichten. Hier kommt er also, der zweite Teil der häufigsten Fragen an mich als Zukunftsforscher! Vielen Dank an alle Fragestellenden - wer weitere Fragen hat, sende diese bitte über das Kontaktformular.

Du wirkst meist sehr zuversichtlich. Bist du Optimist oder Pessimist?

Die Frage ist tiefgründiger, als sie zunächst scheint. Ich bin von Natur aus mit einem deutlich optimistischen Blick auf die Dinge gesegnet, oder eher entsprechend sozialisiert. Meine Familie hatte sehr viel Glück, auch wenn sie es nie zu viel Reichtum oder Popularität geschafft hat. Meine Mutter sagte immer: "Wir haben zwar kein Geld, aber Glück - und das ist besser als umgekehrt." Nun gab es in meinem Leben auch mehrere große Unglücke, sodass das Glück wohl nicht immer auf meiner Seite steht, aber vielleicht habe ich das Schicksal auch zu sehr herausgefordert mit meiner unternehmerischen Tätigkeit und das Erfolgs-Glücks-Gleichgewicht gestört. Zudem befasse ich mich täglich sowohl mit den goldenen als auch den Schattenseiten möglicher Zukünfte, denke sowohl über plausible Visionen für eine regenerative Zukunft als auch Krisenszenarien nach.
Dennoch trete ich nach außen immer mit einem zuversichtlichen Blick. Warum? Ganz einfach: Jede Aussage über Zukünfte, die man vor einem nennenswerten Publikum vertritt, hat die Kraft, einen eigenen Sog in die Zukunft zu entfalten (das nennt sich Propensität). Da möchte ich lieber positive Gestaltungsräume aufzeigen als die ewigen Mühlen der Zukunftsskepsis zu bespielen.

Wie reagieren die Menschen auf "deine" Zukunftsbilder?

Das ist sehr unterschiedlich; auf Veranstaltungen ist das Feedback überwiegend sehr positiv, nicht zuletzt, da ich nicht die eine, unveränderliche Zukunft verkaufe. Davon halte ich im Übrigen auch überhaupt nichts. Stattdessen biete ich immer unterschiedliche Aspekte möglicher Zukünfte an, über die man dann konstruktiv in den Austausch kommen kann. Selten gibt es kompletten Gegenwind, einmal ist sogar ein Mann während einer Keynote aufgestanden und wollte mich belehren, dass meine Ausführungen komplett an der Realität vorbeigingen. Das sah zum Glück nicht nur ich, sondern auch der Rest des Publikums anders und nach einem kurzen Wortwechsel wurde er vom Veranstalter aus dem Raum geführt.
In den "sozialen" Medien ist das schon anders. Ich habe einige politisch angehauchte Videos bei Tiktok, die dort natürlich vom rechten Rand ständig angegriffen werden. Ich darf mir dann anhören, ich sei Propagandist oder schlicht Lügner, oder auch Schlimmeres. Damit kann ich aber umgehen und versuche dennoch stets, die Perspektive der Gegenseite zu verstehen. Unangenehm wird es nur, wenn Drohungen kommen und zusätzlich immer häufiger die Route zu meinem Firmensitz abgerufen wird. Das hält mich trotzdem nicht davon ab, weiter über menschen- und umweltgerechte Zukünfte zu sprechen.

Manche nennen dich Future Punk - warum?

Ich sehe zwar nicht aus wie das, was man sich unter einem Punk vorstellt, aber was ist schon Punk? Die Ärzte haben einen ganzen Song darüber geschrieben, was Punk sein kann ("Punk ist") und ich sehe mich da in der Tradition derjenigen, die Systeme und Mechanismen sehen, obwohl sie teilweise sogar Teil derer sind. Sie sehen sie nicht nur, sondern hinterfragen sämtliche Annahmen. Mein guter Freund und Ex-Chef Jan Berger (inzwischen Geschäftsführer von Themis Foresight) teilt meine Ansicht, dass gute Zukunftsforschung auch darauf beruht, dass man unethisch denken kann. Wie sonst hätte ich entgegen der Massenmeinung ein paar Monate vor dem Beginn des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine zu dem Schluss kommen können, dass dies passiert? Weil ich denken kann wie ein "Zar". Ich kann auch denken wie ein CEO einer Mineralöl- oder Rüstungs-Firma. Ich sage Autozulieferern, dass ihr Geschäftsmodell kaputt und nicht zukunftsfähig ist, rate aber gleichzeitig Immobilienfirmen zum Downsizing und Automatisierung. Das alles hat nicht immer etwas mit meinen privaten Überzeugungen und Taten zu tun; also: Future Punk.

Welche Methoden benutzt die Zukunftsforschung?

Das sind zu viele, um sie hier aufzuschreiben; ebenso könnte man fragen, welche Methoden die Archäologie oder Volkswirtschaftslehre verwenden. Es handelt sich immer um den passenden Mix für die jeweiligen Forschungsfragen und Hypothesen. Häufiger tauchen Delphi-Befragungen auf, das sind Expertenpanels mit mehreren Durchgängen. Man befragt beispielsweise in Interviews oder Online-Fragebögen Expert:innen, aggregiert die Ergebnisse und legt sie demselben oder einem erweiterten Panel wieder vor. Die Methode eignet sich besonders dann, wenn man sehr komplizierte und in eher weiter Zukunft gelagerte Themen ergründen möchte. Die Szenariotechnik ist darüber hinaus in der Zukunftsforschung eine Besonderheit; Zukunftsszenarien der Zukunftsforschung sind, anders als klassische Szenarien, sehr robuste und gut erforschte, plausible Zukunftsbilder. In der Regel versucht man damit, einen Zukunftsraum zu explorieren und Gestaltungsräume zu identifizieren. Das Herzstück jedes Szenarioprozesses sollte die Konsistenzbewertung der vorher gesammelten Grundlagen und Projektionen sein, die in jedem Fall computergestützt berechnet werden soll. Immerhin hat man es in klassischen Prozessen mit vielen Milliarden Kombinationsmöglichkeiten zu tun - und man braucht am Ende ja nur eine Handvoll Szenarien.

Welche Eigenschaften braucht man als Zukunftsforscher:in?

Erstens sind das vermutlich die üblichen, die man braucht, wenn man an der Schnittstelle von Forschung und Praxis arbeitet. Zweitens gehört dazu aber im Wesentlichen auch eine gewisse Offenheit und Neugier gegenüber Zukünften. Drittens bedeutet dies ein tiefgreifendes Verständnis von Komplexität, Emergenz, Kontingenz und Chaos. Viertens muss mir klar sein, dass ich eher Historiker:in als Prognostiker:in bin. Und fünftens hängt das genaue Set an Eigenschaften oder Kompetenzen davon ab, in welchem Einsatzfeld und Umfeld ich mich betätigen möchte. Ich persönlich bin einerseits Analytiker und liebe es, mich in Datenberge zu stürzen und tagelang umfangreiche Tabellen zu interpretieren. Andererseits liebe ich Bühnenauftritte und die Vermittlung von Zukünften. Andere sind stärker in der theoretischen Methodenarbeit oder der Konzeption und Durchführung von Workshops. Einige arbeiten sehr streng in Branchenkontexten oder festangestellt als Foresight-Analyst oder Trendscout; andere sind selbstständig oder in kleinen Beratungsunternehmen unterwegs.

Lieben alle Zukunftsforscher:innen Science Fiction?

Viele, die ich kenne, haben auf jeden Fall ein Faible für die eine oder andere SciFi-Richtung. Ich würde aber nicht so weit gehen zu sagen, dass alle SciFi lieben. Aber die dahinterliegende Annahme ist schon richtig: Science Fiction funktioniert ähnlich wie Zukunftsforschung an manchen Stellen, nur dass bewusst eine deutliche Verstärkung wie mit einem Brennglas auf die Grundannahmen vorgenommen wird. Die Zukunftsforschung hingegen modelliert eher plausible und wenigstens konsistente Zukunftsbilder.

Ist Foresight das gleiche wie Zukunftsforschung?

Nicht ganz. Foresight übersetzt sich ins Deutsche als "strategische Vorausschau", ist also per Definition an einen Organisationskontext gebunden. Zukunftsforschung kommt in vielen Spielarten und versteht sich in der Regel eher als übergreifende, kritisch-rationale Disziplin. Foresight ist gewissermaßen die Übersetzung von Zukunftsforschung in ein Unternehmen oder eine Behörde.

Gibt es historische Beispiele, bei denen Zukunftsforschung Einfluss auf ein Ereignis hatte?

Ja, wobei die Faktenlage recht schwierig ist - das nennt man dann Präventionsparadox. Ein gutes Beispiel ist der Atomwaffensperrvertrag von 1968. Schon vor dem Abwurf der ersten Atomwaffen auf Hiroshima und Nagasaki 1945 gab es Expertenpanels, die die sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Folgen des Einsatzes von Kernwaffen antizipiert haben. Einige Organisationen taten sich in den 1950er Jahren, als die Aufrüstung der USA und der Sowjetunion begann, zusammen und schauten immer weiter, welche Auswirkungen dies haben könnte. Und so empfahlen sie (und andere) das Verbot, das ja dann auch beschlossen wurde und bis heute gilt. Ein anderes Beispiel ist die Eindämmung umwelt- und klimaschädlicher Stoffe wie FCKW oder später Asbest, welche sich unter anderen auf die Studie "Die Grenzen des Wachstums" von 1972 zurückführen lassen. Persönlich kann ich aber auch ein schönes Beispiel berichten: 2019 habe ich bei vielen Veranstaltungen darüber gesprochen, dass in den kommenden drei Jahren eine Pandemie sehr wahrscheinlich ist. Ein großes Pharmaunternehmen hat diese Warnprognose ernstgenommen und tatsächlich einige Prozesse in der Forschung und Entwicklung angepasst und sich anschließend bedankt.

Was sind schwarze Schwäne? Sind diese erst zu nehmen oder nur Hirngespinste von Pessimisten?

Schwarze Schwäne sind im Grunde Wildcards, also äußerst unwahrscheinliche, im Falle des Eintretens aber sehr einflussreiche Ereignisse oder Entwicklungstendenzen (Trends). In unserer Zeit kennen wir das alle: Die Corona-Pandemie 2020 war so ein schwarzer Schwan, aber auch der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine 2022 oder die Hamas-Attacke auf Israel 2023. Ehrlicherweise waren das alles keine Phänomene, über die noch nie jemand nachgedacht hat. Doch kaum jemand hat ernsthaft die potenziellen Auswirkungen rechtzeitig antizipiert. Und das ist eins der Kernprobleme in der Umsetzung von Zukunftsforschung in die Praxis. Oft lassen sich zwar die Ereignisse nicht verhindern, aber durch eine kluge, proaktive Anpassung der Prozesse und Strategien kann sich eine Organisation sehr wohl auf Schocks vorbereiten.

Unterliegt die Zukunftsforschung wissenschaftlichen Standards? Ist sie eine richtige Wissenschaft?

Die Zukunftsforschung als fachliche Disziplin hat sehr wohl Gütekriterien und Standards, die mehrfach dokumentiert sind. An den Universitäten wird das auch durchgehend sehr strikt so praktiziert. In der Wirtschaft und öffentlichen Verwaltung wiederum haben wir aber eher mit Foresight zu tun, wo die wissenschaftlichen Standards zugunsten von zeitlicher und finanzieller Effizienz eher in der zweiten oder dritten Reihe stehen. Ein einfaches Beispiel ist, dass Interviews in der Wissenschaft sehr kleinteilig dokumentiert und analysiert werden. In der Praxis genügt meist die Kernaussage aus einem Gespräch, weshalb man hier den Prozess in der Regel abkürzt.

Arbeitet ihr qualitativ oder quantitativ?

Beides! In Projekten kombiniere ich persönlich sehr gern unterschiedliche methodische Ansätze, die unterschiedliche Perspektiven auf die Untersuchungsgegenstände werfen. Ich würde aber sagen, dass der Großteil der Projekte eher qualitativ bearbeitet werden. Als Auftraggeber muss man allerdings aufpassen, dass auf der anderen Seite keine Scharlatane sitzen, die ihre Zukunftsaussagen aus den Ärmeln schütteln. Ein methodisches Gerüst und auch ein gewisser Grad an Transparenz ist wahnsinnig wichtig. Für mich kommt noch hinzu, dass partizipative Prozesse immer besser sind - das heißt, Auftraggeber arbeiten mit an der Erzeugung von Inhalten, Thesen, etc.

Warum sind alle (oder viele) deiner Beiträge positiver Natur? Eigentlich wird doch alles nur schlimmer?

Alles eine Frage der Perspektive! Mit meiner Arbeit versuche ich ja gerade, meine Adressaten vor die Welle zu bringen. Wer sich strukturierte Gedanken über mögliche Zukünfte macht und sich rechtzeitig mit technologischen, wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Trends befasst, ist hinterher weniger überrascht oder im besten Fall vorbereitet. Dazu zählen die großen "Megatrends" genauso wie Teilaspekte daraus.

Wie wirst du (wenn du so viel über unsere Zukunft weißt) nicht zum Pessimisten?

Dadurch, dass ich so viele Varianten der Zukunft schon durchgespielt habe, sehe ich keinen Grund, pessimistisch zu sein. Es gibt immer auch mögliche und plausible Zukünfte, die in eine positive Richtung deuten. Ich arbeite daran, die richtigen Akteure immer wieder darauf hinzuweisen, dass sie sich zwar vor den negativen Zukünften schützen, jedoch gleichzeitig auch die positiven wahrscheinlicher machen. Dazu zählen Unternehmen ebenso wie Regierungsstellen. Und je häufiger meine Zunft das tut, umso besser klappt das auch. Dem Bild des Pessimisten würde ich zudem entgegnen, dass ich eher der stoischen Philosophie folge, alles erst einmal akzeptiere und Optionen auslote. Das einzig Belastende daran ist, dass ich - wie die Kassandra in der griechischen Mythologie - sehr häufig natürlich unzufrieden bin, weil rückwärts betrachtet dann doch zu wenig getan wird, um Unheil abzuwenden. Aber ich habe ja hoffentlich noch einige Jahrzehnte... :)

Wie kann ein studierter Zukunftsforscher fundierte Aussagen über ihm fremde Fachgebiete treffen? Sollten das nicht die Experten des jeweiligen Gebietes tun?

Das muss kein Widerspruch sein! Es stimmt, dass ich nur in wenigen Fachgebieten wirklich als Experte auftreten kann. Das sage ich ja auch immer wieder öffentlich. Aber durch mein Netzwerk und meine Methoden bin ich in der Lage, gehaltvolle Aussagen von Expert:innen aus Fachgebieten zu bewerten und die Expert:innen wiederum in den Austausch zu bringen. Das ist dann vielleicht auch nicht immer akkurat, aber sehr viel besser, als wenn ich mir selbst eine "Meinung" bilden und diese proklamieren würde. So machen es leider viele, die den Beinamen "Zukunftsforscher" vor sich her tragen - damit richten sie großen Schaden für unser Metier an. Ich hoffe, dass wir eines Tages verbindliche Standards haben und der Beiname "Zukunftsforscher" (oder ein anderer) geschützt ist. Bis dahin gilt "nur" Reputation.

 

Foto von Emily Morter auf Unsplash