#01.06 Schwarmdummheit und Expertenbefragungen Im Hier und Morgen
Die meisten Tierarten sind im Schwarm intelligenter - Vögel oder Heringe bewegen sich synchron, weichen so Fressfeinden aus oder sparen Energie bei der Fortbewegung. Nur der Mensch scheint in Massen eher zu irrationalen Handlungen zu neigen. Schuld daran ist vor allem unser kognitives Rechenzentrum, das Gehirn, sowie kognitive Dissonanzen (biases). Warum fragen wir trotzdem Expert*innen für Studien?
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#01.05 Zeitgeistforschung trifft Zukunftsforschung: Kirstine Fratz Im Hier und Morgen
"Zeitgeist ist die mächtigste und kreativste Intelligenz in unserer Kultur", sagt Kirstine Fratz. Über den Zeitgeist, wie man ihn erforscht und welche Schnittmengen es mit der Zukunftsforschung gibt, unterhielt ich mich mit ihr in dieser Episode.
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Szenariotechnik US-Wahl 2020
Szenariotechnik im praktischen Einsatz
Sie möchten gern erfahren, wie die Szenariotechnik operativ zum Einsatz kommt? Vielleicht haben Sie meinen Zlog-Beitrag über die US-Präsidentenwahlen gelesen und sind deshalb hier gelandet. Vielleicht interessieren Sie sich aber auch aus anderen Gründen für die Umsetzung einer der wichtigsten Methoden der wissenschaftlichen Zukunftsforschung. Ich möchte Sie nicht enttäuschen: Hier finden Sie einen recht detaillierten Einblick in die Vorgehensweise bei der Szenariotechnik.
Die Anwendung der Szenariotechnik kann, wenn man es ernst meint, unmöglich ohne Softwareunterstützung passieren. Dafür ist die Realität zu komplex – insbesondere, wenn wir uns im Bereich spekulativer Projektionen bewegen. Ich habe das große Glück, die Software EIDOS der Parmenides Foundation nutzen zu dürfen – an dieser Stelle bedanke ich mich nochmals ganz herzlich bei der Stiftung!
Grundannahmen
Folgende Grundannahmen wurden getroffen:
- Joe Biden erhält etwas mehr Stimmen als Donald Trump vom Wahlmännerausschuss (< 10 % Differenz)
- Joe Biden erhält erheblich mehr Stimmen durch Bevölkerung (> 60 %)
- Anhänger beider Lager (Dem./Rep.) haben nachweislich lokale Wahlen manipuliert
- China, Russland und Iran haben nachweislich Wahlen manipuliert
Einflussfaktoren
Funktionsweise Einflussfaktoren: Nach dem Umweltanalyseschema WÖ-gewarpt werden diejenigen Faktoren gelistet, die zum Zeitpunkt der Szenarien (Ende Januar 2021) eine Rolle gespielt und sich auf den betrachteten Gegenstand maßgeblich ausgewirkt haben werden. Weniger relevante Gebiete werden aus Effizienzgründen ignoriert und nicht aufgeführt. Insgesamt wurden 79 Einflussfaktoren aus den Bereichen Wirtschaft, Ökologie, Gesellschaft, Ethik, Wissenschaft, Administration, Recht, Politik und Technologie gelistet.
Hier finden Sie die gesamte Liste:
Wirtschaft
- Wirtschaft
- Außen (Welt):
- Globale Konjunktur
- Tourismuskrise
- Finanzmärkte
- Börsenkurse der Hauptindizes [Dow Jones Global Titans (50 größte Aktiengesellschaften der Welt), MSCI Emerging Markets Index (größte Aktiengesellschaften der Schwellenländer), MSCI World (1600 größte Aktiengesellschaften der Industrieländer), S&P Global 1200 (1200 größte Aktiengesellschaften der Welt), STOXX Global Select Dividend 100 (100 dividendenstärkste Großunternehmen der Welt)]
- Außenpolitischer Rahmen:
- Konjunktur NAFTA
- Konjunktur US-Japan
- Konjunktur US-UK (insb. Brexit)
- World Trade Organization
- Außen (Land):
- Nationale Konjunktur
- Nationale Arbeitslosenquote
- Waren- und Güterverkehr
- Energiemarkt
- Immobilienmarkt
- Ressourcenverfügbarkeit
- Versorgungssicherheit US-Bevölkerung
- Verhalten Social Media Plattformbetreiber (Facebook, Twitter, Insta)
- Innen:
- Insolvenz Big Player (G-MAFIA)
- Außen (Welt):
Ökologie
- Ökologie
- Außen (Welt):
- Klimakatastrophe international
- Wild Card Klima international
- Wild Card Meteoriteneinschlag o.ä.
- Außenpolitischer Rahmen:
- Wild Card Klima Nordamerika
- Außen (Land):
- Wild Card Supervulkanausbruch
- Waldbrände
- Innen (White House):
- –
- Außen (Welt):
Gesellschaft
- Gesellschaft
- Außen (Welt):
- Covid19-Entwicklung (Gesundheitlich)
- Globale Berichterstattung
- Globale Prominente
- Außenpolitischer Rahmen:
- Immigration in die USA
- Emigration aus den USA
- Außen (Land):
- Nationale Prominente
- Nationale Berichterstattung
- Migration innerhalb der USA
- Akzeptanz Wahlergebnis US-Bevölkerung
- Friedlicher Zusammenhalt US-Bevölkerung
- Gewaltbereitschaft (Extremismus, Bürgermilizen, Bürgerkrieg, Plünderungen etc.)
- Sozialversicherungssystem
- Polarisierung zwischen Wählergruppen
- Alternative Fakten / New World Order Verschwörungstheorien
- Wild Card Terrorismus
- Wild Card Unglück (Flugzeugabsturz, Dammbruch, GAU)
- Innen (White House):
- Verhalten Melania Trump
- Verhalten andere Familienmitglieder Trump
- Außen (Welt):
Ethik
- Ethik
- Außen (Welt):
- –
- Außenpolitischer Rahmen:
- –
- Außen (Land):
- Demokratieempfinden US-Bevölkerung vs. Faschismus
- Egoismus US-Bevölkerung
- Innen (White House):
- Friedliche Übergabe ja/nein
- Außen (Welt):
Wissenschaft
- Wissenschaft
- Außen (Welt):
- Wild Card wiss. Durchbruch international
- Außenpolitischer Rahmen:
- –
- Außen (Land):
- Wild Card wiss. Durchbruch USA
- Innen (White House):
- –
- Außen (Welt):
Administration
- Administration
- Außen (Welt):
- –
- Außenpolitischer Rahmen:
- –
- Außen (Land):
- Verhalten US-Bundesbehörden
- Innen (White House):
- Verhalten Trump-Administration
- Außen (Welt):
Recht
- Recht
- Außen (Welt):
- –
- Außenpolitischer Rahmen:
- Verhalten Supreme Court (Judikative, 9 Richter, Präsident schlägt vor, Senat wählt)
- Außen (Land):
- Verhalten Gerichte in Bundesstaaten
- Innen (White House):
- –
- Außen (Welt):
Politik
- Politik
- Außen (Welt):
- Einfluss Russland
- Einfluss China
- Einfluss Iran
- Einfluss EU
- Internationale Anerkennung Wahlergebnis
- Militärische Konflikte international
- Wild Card Atomwaffeneinsatz
- Außenpolitischer Rahmen:
- Verhalten NATO
- Verhalten Vereinte Nationen
- Verhalten OECD
- Außen (Land):
- Verhalten Kongress [= Repräsentantenhaus (Legislative, quasi Bundestag mit Proporz pro Staat, 435 Mitglieder aktuell) und Senat (Legislative, quasi Bundesrat, jeder Bundesstaat 2 Sitze, Vizepräsident ist Senatschef)]
- Verhalten einzelner Bundesstaaten / Gouverneure (Exekutive Außen)
- Verhalten Streitkräfte (Exekutive Außen)
- Verhalten einzelner Bundesstaaten / Staatsparlamente (Legislative Außen)
- Verhalten Staatsparlamente (Legislative Außen)
- Parteiverhalten Demokraten
- Parteiverhalten Republikaner
- Parteiverhalten andere
- Militärische Konflikte national
- Innen (White House):
- Verhalten Präsident Trump
- Wild Card Anschlag auf Trump
- Verhalten Vizepräsident Pence
- Verhalten Kabinettsmitglieder
- Verhalten Bundesbehörden (Fokus: CIA, Federal Reserve Bank)
- Außen (Welt):
Technologie
- Technologie
- Außen (Welt):
- Technologischer Durchbruch Covid-Impfstoff (global)
- Quantencomputer global
- Wild Card globaler Internetausfall
- Außenpolitischer Rahmen:
- –
- Außen (Land):
- Technologischer Durchbruch Covid-Impfstoff (USA)
- Wild Card nationaler Internetausfall
- Innen (White House):
- –
- Außen (Welt):
Schlüsselfaktoren
Im nächsten Schritt wurden Schlüsselfaktoren definiert. Das sind diejenigen Faktoren, die nach Recherche, Diskussionen und Einfluss-/Wechselwirkungsmatrix als die relevantesten identifiziert wurden. Insgesamt wurden nach Abzug der Wild Cards 20 Schlüsselfaktoren in die Analyse einbezogen. Sie sind oben fett markiert, hier noch einmal als Liste und leicht umformuliert:
- Börsenkurse Hauptindizes
- Nationale Konjunktur
- Energiemarkt
- Versorgungssicherheit
- Verhalten Plattformbetreiber Social Media
- Covid-19 / Sars-CoV-2
- Emigration aus den USA
- Akzeptanz Wahlergebnis
- Gewaltbereitschaft
- Verhalten Melania Trump
- Verhalten Supreme Court
- Einfluss Russland
- Einfluss China
- Einfluss Iran
- Einfluss EU
- Einfluss Vereinte Nationen
- Verhalten Kongress
- Verhalten Bundesstaaten
- Verhalten Streitkräfte
- Verhalten Donald Trump
- Verhalten Bundesbehörden (v.a. CIA und Fed)
- Covid-19-Impfstoff
Für die Schlüsselfaktoren wiederum wurden so gut es geht nach dem MECE-Prinzip (mutually exclusive, collectively exhaustive) Ausprägungen bzw. Projektionen gebildet. Dazu muss erwähnt werden, dass einige qualitative Faktoren aus forschungseffizienten Gründen lediglich wenige dichotome Alternativen enthält, wie beispielsweise das Verhalten Melania Trumps.

Insgesamt wurden 72 Ausprägungen alternative Projektionen gebildet, was einem Durchschnitt von 3,27 Projektionen entspricht. Jeder Schlüsselfaktor und jede Ausprägung wurde zudem mit geschätzten Wahrscheinlichkeiten und der Gewichtung für die Szenarioanalyse bestückt. Dieser Schritt ist übrigens unter Zukunftsforschenden umstritten, ich habe mich aus Zeitgründen dafür entschieden, auch wenn meine Bewertungsgrundlagen nur schwer nachvollziehbar gemacht werden können und ich damit möglicherweise die Gütekriterien der Forschung etwas strapaziere. Bei Rückfragen zu den einzelnen Wahrscheinlichkeiten und Gewichtungen stehe ich gern Rede und Antwort, da die zugrundeliegenden Thesen durchaus dokumentierbar sind.
Anschließend wurden für jedes Ausprägungspaar Konsistenzwerte vergeben – wie widerspruchsfrei ist die Koexistenz dieser beiden Ausprägungen im Szenario am Tax x, hier dem 20. Januar 2021? Eine solche Betrachtung ist unmöglich manuell durchzuführen, weshalb ich hierfür die Software Parmenides Eidos genutzt habe. Herzlichen Dank für die Bereitstellung der Software, liebe Parmenides Foundation!
Rohszenarien
Damit ergaben sich für die Kombination aller Ausprägungen 85.030.560.000 Möglichkeiten. Die Berechnung dauerte mit meinem HP Elitebook 840 G6 (Intel i7 @ 1,8 GHz mit 32 GB Arbeitsspeicher) 2:45 Stunden. Im Ergebnis lieferte die Analyse 97 Rohszenarien. Diese waren in sechs unterschiedliche Cluster unterteilt, welche sich wiederum aus den grundlegenden Unterschieden in den Konsistenzwerten, Wahrscheinlichkeiten und inhaltlichen Unterschieden ergaben. Nach der Durchsicht der einzelnen Werte und manueller, qualitativer Überprüfung der Stimmigkeit und Relevanz wurden schließlich zunächst die 97 Rohszenarien auf je ein Rohszenario pro Cluster reduziert, um schließlich ein finales Szenario auszuwählen: es trägt die Ordnungsnummer 70, hat einen Konsistenzwert von 1.44 und eine Wahrscheinlichkeitsbewertung von +++.
Dieses Rohszenario 70 hat folgende Werte:

Hier sind die Schlüsselfaktoren mit den errechneten konsistenten Ausprägungen zum Zeitpunkt 20. Januar 2021. An dieser Stelle nochmals der Hinweis, dass dies keine Prognose, sondern eins von vielen in sich konsistenten, d. h. widerspruchsfreien Szenarien ist:
- Weltwirtschaft: Börsenkurse der Hauptindizes steigen deutlich > 5%
- US-Wirtschaft
- Nationale Konjunktur wächst deutlich > 5%
- Energiemarkt: Preise / Verfügbarkeit konstant
- Versorgungssicherheit: Überfluss
- Verhalten der Plattformbetreiber Social Media: Unterstützung System
- Weltgesellschaft: Covid-19 / Sars-CoV-2 entwickelt sich moderat mit 1,5 – 2 Millionen Toten weltweit
- US-Gesellschaft
- Emigration aus den USA sinkt deutlich > 3%
- Akzeptanz Wahlergebnis in Bevölkerung erhält starke Unterstützung
- Gewaltbereitschaft bleibt moderat
- Verhalten Melania Trump läuft auf einen offenen Konflikt mit Donald Trump hinaus
- Rechtssystem: Verhalten Supreme Court, dieser bestätigt das Wahlergebnis
- Weltpolitik
- Einfluss Russland: keine Einmischung
- Einfluss China: moderate Einmischung
- Einfluss Iran: moderate Einmischung
- Einfluss EU: keine Einmischung
- Einfluss Vereinte Nationen: keine Einmischung
- US-Politik
- Verhalten Kongress: Repräsentantenhaus und Senat unterstützen die Wahlergebnisse
- Verhalten Bundesstaaten: Mehrheit unterstützt Wahlergebnisse
- Verhalten Streitkräfte: friedliche Unterstützung des Systems
- Verhalten Donald Trump: Akzeptanz des Wahlergebnisses
- Verhalten Bundesbehörden (insb. CIA, FBI und Federal Reserve): Mehrheit unterstützt das Wahlergebnis
- Technologie: Ein Covid-19-Impfstoff wird in den USA entwickelt.
Szenarioaufbereitung
Nachdem ich mich für dieses Szenario entschieden habe, ging es ans Schreiben des Szenariotextes. Ich habe mich für die Form eines Zeitungsberichts entschieden, um möglichst schlaglichtartig die wichtigsten erwarteten Entwicklungen im Dialogformat umzusetzen. Das Ergebnis finden Sie in meinem Zlog – oder haben es sogar schon gefunden.
So oder so ähnlich kann es also ablaufen, wenn Zukunftsforschende tief in ihren Methodenkoffer greifen. Idealerweise ist die Szenariotechnik nur einer von mehreren Bausteinen eines Forschungsprojekts. Für die Vorbereitung ist eine ausführliche Recherche unerlässlich, am besten werden noch (Experten-)Interviews für die Erweiterung des Thesensatzes und die Beseitigung blinder Flecken geführt. Je nach Untersuchungsgegenstand bieten sich manchmal auch quantitative Erhebungen an.
Sprechen Sie mich gern für die Beratung der passenden Methode an. Gern unterstütze ich Sie bei Ihrem Foresight-Prozess im Prozess, Strategie oder in der Operativen.
#01.03 Was ist und kann Künstliche Intelligenz? KI Im Hier und Morgen
In dieser Episode bearbeite ich die wichtigsten Grundlagenfragen für Anfänger*innen im Gebiet Künstliche Intelligenz. Vorab habe ich dazu Freunde, Familie und Bekannte nach den dringenden Themen gefragt - darunter die fundamentalen Begrifflichkeiten, aber auch Bedenken wie "wird KI meinen Job ersetzen"? Dies ist der Auftakt einer KI-Serie und vor allem für Einsteiger*innen gemacht.
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#01.02 Ökologischer Fußabdruck Im Hier und Morgen
In dieser Episode geht es um den ökologischen Fußabdruck und warum der so wichtig ist. Jeder von uns kann einen Beitrag dazu leisten, die Klimakatastrophe zu bekämpfen - leider ist das ein sehr rationales Thema, welches vielen kognitiven Verzerrungen unterliegt. Denn die Auswirkungen des (Nicht-)Handelns zeigen sich nicht sofort. Am Ende gibt es auch den Hinweis auf einen CO2-Rechner, um den eigenen Fußabdruck zu errechnen - wie sieht Ihr footprint aus?
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Im Hier und Morgen: Mein eigener Podcast + Vidcast
Am 10. November 2020 ging die erste Episode meines eigenen Podcasts "im Hier und Morgen" online. Verfügbar auf allen gängigen Plattformen! Wer kein Interesse an den Hintergründen hat, gelangt hier schnell zur ersten Episode - darin geht's um die Frage "Was ist Zukunftsforschung?":
Oder auf Spotify:
Oder auf iTunes oder auf Deezer… also über all, wo es Podcasts gibt.
Das Konzept
In dem Podcast "Im Hier und Morgen" berichte ich zunächst aus meinen eigenen bisherigen Veröffentlichungen. Wie immer liegen mir drei Dinge am Herzen:
- Zukünfte: Was ist Zukunftsforschung, warum sind Zukünfte wichtig und wie erforschen Zukunftsforscher*innen sie? Das ist der akademische und methodische Teil, durch den ich dazu beitragen möchte, die Zukunftsforschung noch bekannter zu machen. Harari Future quasi.
- Fragen: Welche Fragen müssen wir stellen, um uns gut auf offene Zukünfte vorbereiten zu können? Hier wird es immer auch mal Trendthemen und Gespräche / Interviews geben.
- Perspektiven: Wie können Menschen und Organisationen am besten mit unsicheren Situationen umgehen? Dieser Bereich handelt von unterschiedlichen Strategien zur Unsicherheitsbewältigung und ist am ehesten mit einem Strategie- und Lifestyle-Ratgeber zu vergleichen.
Jede neue Folge lade ich auf Soundcloud hoch und verteile sie von da aus auf die anderen wichtigen Plattformen. Die Veröffentlichungsfrequenz kann ich noch nicht vorhersagen, an dieser Stelle hat meine Glaskugel leider gerade einen Kurzschluss. Sobald es soweit ist, wird aber auch für jede Folge ein Video auf Youtube veröffentlicht, ein Vidcast quasi. Perspektivisch möchte ich diese Videos gern auch im Nachgang anreichern durch Multimedia und allerlei blinkende Effekte. Hier erstmal das Video zur ersten Episode:
Das Setup
Durch die Pandemie habe ich mir inzwischen ein recht ansehnliches Heimstudio eingerichtet. Dazu gehört selbstverständlich schon lange eine hochauflösende Webcam von Benewy sowie allerlei Beleuchtung von Neewer. Folgende Software kommt zum Einsatz:
- Hindenburg Systems ApS https://hindenburg.com/ ... für die Aufnahme und Schnitt des Podcasts.
- OBS Studio https://obsproject.com/de ... für Aufnahme mit Greenscreen und ggf. Präsentation im Bild.
- Open Shot Video Editor https://www.openshot.org/ ... für die Bearbeitung und Schnitt des Vidcasts.
Die Finanzierung
... ist nicht vorhanden. Wer dennoch der Ansicht ist, dass meine Zeit und Gedanken etwas Wert sind, kann hier Fan werden und immer als erstes über neue Folgen informiert werden:
https://www.patreon.com/Kaigondlach?fan_landing=true
... und wer weiß, vielleicht gibt es dort ja auch exklusive Inhalte?! ;-)
#01.01 Was ist Zukunftsforschung? Im Hier und Morgen
In meiner ersten Podcast-Episode befasse ich mich mit der Nr. 1 der häufigsten Fragen, die mir gestellt werden: Was ist Zukunftsforschung?
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10/2020: Zukunft: Eine Frage der Perspektive (Hannoversche Volksbank)
Am 6. Oktober 2020 habe ich für die Privatkunden der Hannoverschen Volksbank einen Ausflug in die Zukunft gewagt. Oder eher Zukünfte? Ein bunter Themenmix aus Mobilität, Gesundheit, künstlicher Intelligenz und Gehirn-Implantaten erwartet Sie. Und ganz wichtig: Warum sind die unterschiedlichen Perspektiven auf Zukünfte so wichtig? Was kann uns dabei helfen, angesichts der erschreckenden Entwicklungen auf dem Planeten Zuversicht zu bewahren? Finden Sie es heraus in meinem Vortrag „Zukunft: Eine Frage der Perspektive“!
Sie planen auch ein Event und möchten mich als Impulsgeber für Ihre Kunden, Mitarbeiter oder Mitglieder buchen? Kein Problem, schreiben Sie mir gern direkt Ihre Anfrage:
Methoden der Zukunftsforschung
Zukunftsforschung ist eine wissenschaftliche Disziplin
Nicht selten werde ich mit großen Augen angeschaut, wenn ich über Zukunftsforschung als ernsthafte, wissenschaftliche Disziplin spreche. Das liegt unter anderem daran, dass das Metier der Zukunftsforschenden im deutschsprachigen Raum in erster Linie durch Trendforscher geprägt wird, die aus wissenschaftlicher Sicht keine ernstzunehmende Forschung betreiben. Die Bewertung dieser Zuschreibung überlasse ich jedem einzelnen, aus meiner Sicht gibt es für beide Strömungen eine Daseinsberechtigung. Mir persönlich liegt es jedenfalls am Herzen, Zukunftsforschung als Disziplin zu stärken und an geeigneter Stelle von der Trendforschung abzugrenzen – nicht im Sinne einer Rivalität, lediglich als zwei verschiedene Spielarten eines Forschungsobjekts: Zukunft bzw. Zukünfte. Möglicherweise sind Sie genau aus diesem Grund auf dieser Seite gelandet, weil ich bei einem Auftritt oder in einem Interview eine Referenz hierher gemacht habe. Diese Gelegenheit möchte ich nutzen und einen groben Überblick über die Methoden der Zukunftsforschung geben; so kurz wie möglich, so ausführlich wie nötig.
Grundsätzlich ist die Zukunftsforschung vor allem durch eine inhärente Interdisziplinarität gekennzeichnet. Zukunftsforschende begreifen sich nicht als Expert*innen einer Fachrichtung, sie haben eher die Fähigkeit, mit den richtigen Fragestellungen und der Anwendung der geeigneten Methoden diejenigen Quellen zu identifizieren, die für die Beantwortung einer spezifischen Zukunftsfrage zur „besten“ Antwort führen. Inzwischen wissen wir, dass kein*e Expert*in der Welt sämtliche Informationen über ein breites Forschungsfeld haben kann, sei es über die letzte Eiszeit oder Quantenverschränkung. Zukunftsforscher*innen tragen diesem Umstand dadurch Rechnung, dass wir geeignete Verfahren, Techniken und Methoden der qualitativen und quantitativen Forschung derart kombinieren, dass die weißen Flecken möglichst minimiert werden. Schließlich benötigen Zukunftsforscher*innen ein gutes, wohl trainiertes Gespür für mehr oder weniger ernstzunehmende Informationen und Quellen. Im Ergebnis sprechen wir auch nicht von Prognosen, sondern in sich konsistenten, plausiblen Zukunftsbildern bzw. Szenarien.
Das Netzwerk Zukunftsforschung – das wichtigste Gremium im deutschsprachigen Raum für akademische Zukunftsforscher*innen – stellt für die Standards und Gütekriterien der Zukunftsforschung einen hilfreichen „Pocketguide für Praktiker und Studierende“ zur Verfügung (online kostenlos). Mit diesem 51-seitigen Dokument und den zahlreichen Checklisten lassen sich hervorragend einzelne Projekte daraufhin überprüfen, ob diese unverbindlichen Anhaltspunkte für seriöse Zukunftsforschung eingehalten werden bzw. wurden – oder eben nicht.
Delphi-Methode
Die Delphi-Methode ist keine ausschließlich für Zukunftsfragen entwickelte Methode, wurde jedoch schon früh von der Zukunftsforschung als wichtiges Instrument entdeckt. Im deutschsprachigen Raum gilt Prof. Dr. Kerstin Cuhls (Fraunhofer ISI) als Koryphäe auf dem Gebiet der methodologischen Weiterentwicklung von Delphi.
Kernbestandteil der Delphi-Methode sind Interviews mit mehreren Expert*innen sowie mehrere Befragungswellen im Rahmen eines Forschungsprojekts. Die Interviews werden nach den Regeln der empirischen Sozialforschung geplant und durchgeführt, je nach Untersuchungsgegenstand werden die Kriterien für die benötigte Expertise, die Anzahl der zu befragenden Expert*innen und die Art der Befragung (quantitativ oder qualitativ, telefonisch oder face-to-face oder online, Transkriptionsart, Auswertungsschema etc.) festgelegt.
Nach Auswertung der Interviews in der ersten Befragungsrunde werden die Ergebnisse verdichtet und in aufbereiteter Form zur erneuten Bewertung in eine oft schriftliche Runde an dieselben Experten oder einen erweiterten Empfängerkreis gesendet; die Expertenrunde soll dann die Aussagen schärfen und beispielsweise den Zeithorizont bestimmter Thesen schätzen, verschiedene Thesen untereinander abwägen oder angesichts des kumulierten Feedbacks der Experten eigene Standpunkte nachjustieren. In seltenen Fällen werden noch weitere Runden durchgeführt, wenn das Ergebnis der zweiten Welle noch nicht zufriedenstellend hinsichtlich der Forschungsfrage(n) war. Mit dieser Vorgehensweise erhalten die Forschenden breite und tiefe Einblicke durch mehrere Menschen mit relevantem Fachwissen. Ein gutes, schlichtes und dazu noch kostenloses Online-Delphi-Tool ist eDelphi.
Neuer ist die Anwendung als Realtime-Delphi, bei dem in einem vorgegebenen Zeitraum, bspw. 14 Tage oder acht Stunden, alle eingeladenen Expert*innen live mitverfolgen können, wenn neue Ergebnisse hinzukommen. Diese sehr dynamische Methode eignet sich besonders, wenn die Zeitschiene sehr weit in die Zukunft reicht oder aus anderen Gründen die Ungewissheit über den Forschungsgegenstand besonders hoch ist. Ein toller Anbieter für Realtime-Delphis ist Thinkscape.ai
Szenario-Methode
Die Szenariotechnik (genau genommen ist es keine Methode, sondern eine Technik bzw. eine Aneinanderreihung verschiedener Tools) hat ihre Wurzeln in der Wirtschaftswissenschaft, wurde in den letzten Jahrzehnten jedoch zunehmend durch Zukunftsforscher*innen verfeinert. Die Idee ist es, auf der Grundlage aggregierten Wissens – durchaus oft in Kombination mit anderen Erhebungsmethoden als der reinen Literaturrecherche – Einflussfaktoren auf die Zukunft des Untersuchungsgegenstandes zu identifizieren, diese in Schlüsselfaktoren zuzuspitzen, welche besonders relevant sind, und im Ergebnis mögliche, wahrscheinliche und konsistente Szenarien zu entwickeln. Konsistenz ist dabei ein elementarer Bestandteil: in einem aufwendigen Verfahren bewerten die Forschenden die mögliche Koexistenz verschiedener Ausprägungen von Schlüsselfaktoren in der Zukunft (bspw. ein Anstieg des Bruttoinlandsproduktes und der Rückgang von Steuereinnahmen). Ich mache das seit dem Studium sehr gern mit Parmenides Eidos (Transparenzhinweis: Ich bin auch Kooperationsparnter der Parmenides AG).
Schließlich erhält man Rohszenarien, die die jeweils passenden Ausprägungen von Schlüsselfaktoren beinhalten; die Aufbereitung dieser Rohszenarien wiederum obliegt den Forschenden oder Auftraggebern. Beliebt sind narrative Szenarien, im weitesten Sinne Geschichten, die die Szenarien durch den bevorzugten Stil (belletristisch, sachlich,…) veranschaulichen. Ebenso beliebt ist die bildliche Aufbereitung in Form von Schaubildern, Comics oder Videos. Forschungs-/Beratungsprozesse für Szenarien realisiere ich seit 2022 mit meiner Firma, dem PROFORE Zukunftsinstitut.
Datenanalyse / Horizon Scanning
Helmut Kohl hat am 1. Juni 1995 in einer Bundestagsrede gesagt: „Wer die Vergangenheit nicht kennt, kann die Gegenwart nicht verstehen und die Zukunft nicht gestalten.“ Ganz unabhängig von der Person und seiner Politik steckt viel Wahrheit in diesem Zitat. So ist es die Bürde der Zukunftsforschenden, nicht nur Methoden zur Anwendung auf Zukunftsfragen zu kennen, sondern auch ein umfangreiches Wissen und Verständnis der Geschichte vorzuweisen. Als dritte wichtige Methode ist entsprechend die qualitative oder quantitative Datenanalyse zu nennen. Manche nennen dies auch moderner "Horizon Scanning".
Selbstverständlich ist es die oberste Pflicht von Zukunftsforschenden, den aktuellen Stand der verfügbaren Fachliteratur über das Forschungsthema zu analysieren, wozu in technologischen Fragen natürlich auch eine oberflächliche, oft quantitative Patentrecherche gehört. Die wichtigsten Werkzeuge der Zukunftsforschung sind daher wohl die üblichen wie auch wissenschaftliche Suchmaschinen sowie Patent-Datenbanken. Hinzu kommen ggf. spezifische Trend-Suchmaschinen (oft Trendradar genannt; ich arbeite gelegentlich mit der Lösung von Itonics), welche inzwischen mithilfe von Algorithmen künstlicher Intelligenz semantische Zusammenhänge in den online verfügbaren Daten erkennen, wofür menschliche Augen blind sind.
Überblick alle Methoden
Natürlich kommen noch viel mehr Methoden zum Einsatz, auf die ich aber hier nicht im Einzelnen eingehen möchte; zu groß ist die Gefahr, etwas zu übersehen, und der Pflegeaufwand. Das können andere besser als ich. Deshalb belasse ich es an dieser Stelle mit einer schönen, grafischen Darstellung und Zuteilung der häufigsten Zukunftsforschungsmethoden von Rafael Popper [2009: Mapping Foresight. Revealing how Europe and other world regions navigate into the future. European Foresight Monitoring Network, European Union, S. 72, online] aus dem Jahr 2009.
Inzwischen kamen einige neuere Ansätze und Methoden hinzu. Nennenswert sind hier die Werke von Sohail Inayatullah (bspw. Six Pillars, Causal-Layered Analysis), Jennifer Gidley (v.a. partizipatorische Ansätze), Riel Miller (Futures Literacy / Zukünftebildung) und René Rohrbeck (v.a. Corporate Foresight).
Unterm Strich kann ich nach einigen Dutzend Projekten vor allem sagen, dass die Zukunftsforschung bzw. Foresight einen großen Vorteil bietet: Wir sind nicht festgelegt auf einige wenige Methoden, sondern wählen die Kombination, die den größten Erkenntnisgewinn verspricht.
Dieser Beitrag wurde im August 2024 aktualisiert.
10 Veränderungen nach Corona
Wissen Sie noch, was Sie am 12. März 2020 nachmittags gemacht haben? Ich war in einem Yamaha-Geschäft und habe diverse Klaviere ausprobiert. Eigentlich wäre ich in Wiesbaden bei der Aufsichtsratssitzung einer großen deutschen Versicherungsgesellschaft mit einer Keynote über zukünftige Lebens- und Arbeitswelten aufgetreten. Doch die Veranstaltung wurde wenige Tage vorher storniert. Dieses Storno wird nicht das letzte gewesen sein. Genauer gesagt hatte ich seit Anfang März überhaupt keinen physischen Bühnenauftritt mehr ☹. Dafür habe ich in meiner Wohnung ein tolles E-Piano stehen, das ich im Übrigen letztlich doch online bestellt habe. 😊
Warum ich Sie nach Ihrer Erinnerung frage, muss ich wohl nicht erklären. Das große C-Wort geht Ihnen doch sowieso schon auf die Nerven. Das kann vielfältige Gründe haben. Vermutlich leiden Sie oder Ihre Organisation wirtschaftlich unter den Auswirkungen der Pandemie und den Maßnahmen zur Eindämmung derselben. Oder Sie fühlen sich überfordert durch die Mehrbelastung von Job und Familie. Oder Sie haben das ganz große Los gezogen und wurden als systemrelevant eingestuft, haben Applaus geerntet, hatten aber weder Zeit noch Verständnis, diese Geste wertzuschätzen. Ihnen wäre Sonderurlaub und eine signifikante Gehaltserhöhung lieber, doch Sie sind ja intrinsisch motiviert und kümmern sich auch so um Ihre Patient*innen oder Kund*innen.
Der Blick zurück: Chronologie der Pandemie
Der 12. März 2020 wird wohl als Schwarzer Donnerstag in die Geschichte eingehen. Es war der Tag, an dem die Erde den Atem anhielt, als die Weltgesundheitsorganisation (WHO) den Ausbruch von COVID-19 zur Pandemie erklärte. Seitdem ist alles anders und wir leben im „neuen Normal“. Oder?
In meinem Artikel vom 24. März „Corona-Chance statt Corona-Krise” habe ich einige Einschätzungen über den Verlauf der Pandemie und deren Auswirkungen auf das „neue Normal“ geteilt. Der Anlass war, dass ich von immer mehr Medien zu Interviews nach meiner Perspektive gefragt wurde. In dem Artikel habe ich in erster Linie auf die positiven Nebeneffekte hingewiesen, darunter Entschleunigung durch den Lockdown und erhöhte Achtsamkeit. Ich habe – anders als in den Interviews mit Presse, Funk und Fernsehen – darauf verzichtet, den Anstieg der Gewalt und Orientierungslosigkeit abgehängter Bevölkerungsteile zu thematisieren. Warum? Weil Schrift geduldig ist und insbesondere „Prognosen“ in meinem eigenen Zlog auch nach vielen Jahren noch lesbar sein werden. Eine immense Herausforderung für Zukunftsforschende ist es, die eigenen menschlichen Instinkte beim Blick auf große Veränderungen zu ignorieren und stattdessen nach Mustern zu suchen. Das ist es, was ich mit den Perspektiven meine.
Hinzu kommt, dass insbesondere Zukunftsforscher*innen mit der hohen medialen Aufmerksamkeit eine immense Verantwortung tragen. Heißt im Klartext: Wenn Sie überwiegend Schattenseiten von Veränderungen medial vermittelt bekommen, werden Sie selbst gestresst und pessimistisch, was wiederum zu wenig zuversichtlichem Verhalten führt, was letztlich die Prophezeiungen erfüllt. Über diese oft unterschätzte Verantwortung habe ich Anfang August ebenfalls einen Artikel geschrieben – über (Fehl-)Prognosen und Verantwortung. Dabei bin ich auch ungewöhnlich streng mit meiner Branche ins Gericht gegangen. Aber was hat sich denn nun verändert – und welche Veränderungen stehen höchstwahrscheinlich noch bevor?
Der Blick nach vorn: 10 Veränderungen nach Corona
Wenn man von den offensichtlichen Veränderungen absieht – Menschen tragen Masken, die Wirtschaftsleistung und das globale BIP haben eine starke Delle erlitten, häusliche Gewalt ist angestiegen und die Zahl der Covid19-Opfer steigt ebenso wie die Wahrscheinlichkeit einer zweiten Welle –, sehe ich meine Aussagen zu grundlegenden Veränderungen bestätigt. Die globalen Lebens- und Arbeitswelten haben sich bereits schneller als gewöhnlich verändert. Zehn Beispiele:
1. Bewusstsein für Klimakrise nimmt zu

Die Bilder aus China gingen um die Welt. Insbesondere Ballungs- und Industriezentren waren auf den Satellitenbildern der NASA kaum wiederzuerkennen. Was hier zu sehen ist, zeigt unleugbar den massiven Effekt des Verkehrs und industrieller Anlagen auf die Entwicklung von Feinstaub, CO2 und NO2 – die wiederum das Klima unseres Heimatplaneten zusehends aus der Balance bringen. Die globale Bewegung der #FridaysForFuture und anderer Klimaaktivisten fand damit neues Futter für ihre berechtigten Proteste. Natürlich wurden nicht sofort Maßnahmen beschlossen, immerhin hatte man gerade einen anderen Brand zu löschen. Doch immer weniger Regierungen und Wirtschaftsakteure können sich nun noch dem Befund widersetzen, der immer offensichtlicher zur größten Herausforderung unseres Jahrhunderts anschwellt: der menschengemachte Klimawandel. Großbrände, ungewöhnlich heftige Stürme, Temperaturkapriolen, Artensterben, Verwüstung und Nahrungsmittelengpässe rund um den Globus mobilisieren immer mehr Menschen der Zivilgesellschaft und auch der Politik, auch #ScientistsForFuture und #EntrepreneursForFuture haben sich der Bewegung zur Rettung des Planeten angeschlossen. Der Umbau zu einer postfossilen Wirtschaft ohne das Verbrennen von Öl und Kohle rückt in greifbare Nähe - dazu gehören außerdem eine massive Umschulungsrevolution, Verluste in Billionenhöhe an den weltweiten Märkten, geopolitische Spannungen zwischen Öl-Import- und Export-Nationen, aber eben auch eine Energierevolution mit großen Schritten hin zu Erneuerbaren Energien. Nach den 2020ern wird dann das Thema "kostenlose Energie" eine immer größere Rolle spielen, aber das muss uns heute noch nicht kümmern.
2. Geschlechtergerechtigkeit nimmt zu
Staaten mit weiblichen Regierungschefinnen verzeichnen signifikant weniger Sterbefälle durch Covid-19. Das sind vor allem Neuseeland (Premierministerin Jacinda Ardern), Deutschland (Kanzlerin Angela Merkel), Dänemark (Ministerpräsidentin Mette Frederiksen) und Finnland (Ministerpräsidentin Sanna Marin). In männlich regierten Staaten sterben 4,3-mal mehr Menschen am Virus (zur Studie). Es zeigt sich, dass in diesen Ländern öffentliche Gesundheit über die Interessen der Wirtschaft gestellt wurden. Dies wird langfristig die Geschlechterungerechtigkeiten ebnen, da aus humanistischer Perspektive das Wohlbefinden der Menschen einen höheren Stellenwert einnimmt als partikulare Interessen des Kapitalismus. „We should all be feminists“ lautet die Losung dieser Tage.
3. Neohumanismus wurde geboren
Es bildet sich allmählich eine starke Allianz des Neohumanismus, die einer schwindenden Gruppe konservativer, exklusiver Gruppen gegenübersteht. Der Gipfel dieser Spannungen ist der Disput um die prekäre Lage geflüchteter Menschen auf der griechischen Insel Lesbos und dem Lager in Moria. Vergleichbar mit dem Ansatz "Homo Amor" könnte all dem Hass, der Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz gegenüber anderen Kulturen langsam ein Verständnis für eine erstrebenswerte Zukunft aller Menschen unter dem Himmel Einzug halten. Das wäre dann ein Update des Humanismus aus der Epoche der Aufklärung.
4. Neue Zeitrechnung: n. Co. statt n. Chr.
Die ersten Menschen haben begonnen, die klassische Zeitrechnung, die sich auf die Geburt des christlichen Messias Jesus Christus bezieht, infrage zu stellen. Anstatt den 13. September 2020 anzugeben, spricht man vom Jahr 0 nach Corona oder kurz. Interessanterweise verbirgt sich dahinter auch eine säkulare Bestrebung vieler Menschen, die Zeitrechnung von der Weltreligion zu entkoppeln. Wenn sich dieser Trend durchsetzt, müssten alle Geschichtsbücher neu geschrieben werden – die französische Revolution fand im Jahr 231 v. Co. statt, der Zweite Weltkrieg endete 75 v. Co., Christoph Kolumbus „entdeckte“ Südamerika im Jahre 528 v. Co. und der zentrale Prophet der Christen wurde eben 2020 v. Co. geboren. In welchem Jahr wurden Sie geboren?
5. China gewinnt, Isolierung führt zu Machtverlust
Die Abschottung einzelner Staaten im Zuge des Lockdowns hat die diplomatischen Beziehungen weniger als befürchtet verändert, im Durchschnitt sogar positiv. Inter- und supranationale Kooperation stellt sich mehr und mehr als erfolgreiches Modell heraus. Der Gegenstrom exklusiver, protektionistischer und bedrohender Politik zeigt seine Auswüchse gerade in den USA, deren demokratische Basis gerade vor den Augen der Welt zerschmettert wird. Eins der wahrscheinlichsten Szenarien geht davon aus, dass China schon sehr viel früher als erwartet die USA als Weltprimus ablösen wird.
6. Beyond Homeoffice: Demokratisierung der Arbeitswelt
Natürlich hat das massenhafte Homeoffice diese Entwicklung verstärkt. Homeoffice wiederum finde ich aus der organisationskulturellen Perspektive viel spannender; selbst Organisationen, die ihre Mitarbeiter vor Corona unter keinen Umständen von zuhause oder unterwegs arbeiten lassen wollten, konnten plötzlich ganz schnell umstellen. Immerhin ging es um den wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens – das Kurzarbeitergeld hat man natürlich trotzdem gern mitgenommen. Der Großteil ist leider nach den ersten Lockerungen wieder komplett zurückgerudert. Doch die Angestellten sind auf den Geschmack gekommen, fordern via Betriebsrat und Gewerkschaft ein Recht auf Telearbeit. Insofern schließt sich hier die Klammer zwischen Digitalisierung und New Work, welche beide durch Corona massiv beschleunigt wurden (auch wenn New Work natürlich viel mehr als Homeoffice ist, aber das ist hier nicht Kernthema).
7. Die 2020er gebären den Postkapitalismus
Das Wirtschaftssystem aus Makroperspektive ist erst seit wenigen Jahrhunderten, wenn nicht gar Jahrzehnten in seiner heutigen Form. Kapitalismus und soziale Marktwirtschaft haben uns Globalisierung, regionalen Reichtum und Vernetzung beschert – doch schon merken wir als Spezies, welche Geister wir riefen. Während einerseits die Profite einzelner Akteure, Gebiete oder Staaten kontinuierlich steigen und die umliegenden Bevölkerungen immer weiter von „oben“ entfernt sind (messbar am Gini-Koeffizienten, auch „Einkommensschere“ genannt), suchen findige Technologen und Milliardäre nach Möglichkeiten, andere Planeten zu besiedeln. Die wissen schon, warum. Andere arbeiten an Lösungswegen, unser Wirtschafts- und Gesellschaftssystem an die modernen Begebenheiten anzupassen. Prof. Dr. Niko Paech dürfte der bekannteste deutsche Vertreter einer Postwachstumsökonomie sein, die mitunter auch Postkapitalismus genannt wird – hierzu habe ich einen Beitrag fürs „HR Consulting Review“ unter Federführung von Prof. Dr. Jens Nachtwei von der Berliner Humboldt Universität geschrieben (erscheint bald). Klar ist: Kapitalismus funktioniert gut, lässt aber wichtige Umweltfaktoren außer Acht. Und: die Regeln an den Märkten müssen sich diesen Rahmenbedingungen anpassen und bspw. ökologische und soziale Umweltfaktoren der gesamten Wertschöpfungskette berücksichtigen. Die derzeitige Form des Kapitalismus wird die 2020er Jahre in Summe nicht überleben, wenn wir als Spezies überleben wollen.
8. Wohlstandsverteilung wird dezentralisiert
Das globale Finanz- und Geldsystem wird derzeit einer gehörigen Zerreißprobe unterzogen. Bargeld wird zunehmend als Überträger von Viren und Bakterien konnotiert, Menschen (sogar in Deutschland!) lernen die Vorzüge kontaktloser Bezahlung kennen und reagieren inzwischen empört, wenn ein Restaurant oder Kiosk keine Kartenzahlung akzeptiert. Ökonomen sind sich uneins, ob wir auf Bargeld verzichten können; Bürger*innen hadern mit der gefühlt erhöhten Transparenz ihrer Ausgaben; Schmiergelder werden auch heute noch in den allseits bekannten Aktenkoffern in kleinen Scheinen transportiert. Auf der anderen Seite sind in den letzten Monaten die Kurse einschlägiger Kryptowährungen wie Bitcoin, Ethereum oder MIOTA gestiegen. Mehr Menschen probieren die digitalen Münzen aus und unterwandern damit das klassische Geldsystem – dabei schmeckt die mit Bitcoin bezahlte Pizza von Lieferando genauso gut, wenn nicht besser. Große Wirtschaftsräume (darunter die EU und China) bringen eigene Kryptowährungen auf den Weg. Hinzu kommen die erwartbaren Schwankungen an den Börsen, noch mehr Kursveränderungen, Käufe und Verkäufe in atemberaubender Geschwindigkeit. Es kann nicht mehr lange dauern, bis echte Börsentransaktionssteuern eingeführt werden. Damit hätten wir es mit einem historischen Schritt hin zu dezentralisierten, gerechteren Verteilungsmechanismen von Geld mit globalem Maßstab zu tun.
9. Digitale Transformation beschleunigt Zerfall alter Industrien
Digitalisierung hat einen Turbo erhalten. Die größten Gewinner der Pandemie sind Technologieunternehmen, die weltweit Hunderttausende ungeplante Geräte produzieren mussten, um den Bedarf der isolierten Bevölkerung zu decken. Automatisierung von Tätigkeiten ist schlagartig wieder auf die Agenda vieler Unternehmen und Behörden gerückt, da Menschen aus Gründen der Sicherheit einige Aufgaben schlicht nicht mehr ausführen konnten. Insbesondere die Automobilindustrie hat es hart getroffen, einer der größten Zulieferer der Welt mit Sitz in Deutschland hat unlängst geplante Stellenstreichungen in fünfstelliger Höhe bekannt gegeben. Auf der anderen Seite hat sich das schlechte Urteil der Zeitgemäßheit unseres Gesundheits- und Bildungssystems bewahrheitet. Auch die globalisierten Wertschöpfungsketten sind offensichtlich nicht pandemiefest, weshalb ein unaufhaltsamer Relokalisierungstrend eingesetzt hat. Dies wiederum wird die Preisgefüge ordentlich durcheinanderbringen.
10. Agilität gewinnt den Kampf um das perfekte Management
Organisationen haben in Summe verstanden, dass starre Organisationsformen gegen externe Schocks nicht nur schlecht, sondern überhaupt nicht gefeit sind. Die zwei wichtigsten Konsequenzen daraus: Organisationen stellen immer mehr auf agile(re) Strukturen und Projekte um (Mikroebene), was den Wettbewerb innerhalb von Branchen anheizt und vom Markt hin zum Geschäftsmodell treibt (Mesoebene) und schließlich in einem veränderten Wirtschaftssystem gipfeln wird (Makroebene).
Puh. Das war viel. Und es war erst der Anfang. Mir wurde gesagt, meine Artikel sind manchmal grenzwertig lang, aber so ist das mit der Zukunft bzw. Zukünften: Sie sind komplex und wir machen es uns sehr oft zu leicht, wenn wir diese Komplexität aus Bequemlichkeit reduzieren.
Der Blick nach Innen: Wie geht es für Sie weiter?
Man könnte über die Veränderungen und Kontinuitäten ganze Bücher schreiben – doch in dem Moment, in dem das Buch dann aus dem Druck kommt, sind die Grundlagen der Prognosen bereits veraltet. Daher möchte ich Sie auch vorsichtig vor kürzlich erschienenen Büchern über die Welt nach Corona warnen. Die können allenfalls als Unterhaltungsliteratur dienen. Aber gründen Sie bitte keine Strategien oder andere weitreichende Entscheidungen auf ihnen.
Sehr wohl lohnen sich jedoch spezifische, tiefgründige Analysen einzelner Aspekte des Wandels. Somit möchte ich zum Ende dieses Artikels einmal mehr für wissenschaftliche Zukunftsforschung werben. Zudem möchte ich Sie einladen, meine unabhängigen Forschungsergebnisse für sich zu nutzen. Das kann über folgende Formate geschehen:
- Keynote: In meinen Vorträgen liefere ich Ihnen Insider-Wissen über aufkommende Trends und vermittle komplexe Zusammenhänge auf unterhaltsame Weise. Die Themen reichen von „zukünftigen Lebens- und Arbeitswelten“ über die in diesem Artikel skizzierten Entwicklungen rund um die Frage, wie es nach Corona weitergeht, bis zu speziellen Trend-Vorträgen über Künstliche Intelligenz, New Work oder Innovationsmethoden. Erfahren Sie mehr über meine Vorträge.
- Texte: Für Ihr Mitarbeiter- oder Kundenmagazin schreibe ich fundierte Artikel zu einem Thema Ihrer Wahl. Erfahren Sie mehr über meine Autorenbeiträge.
- Foresight: Sie planen eine Zukunftsstudie, beispielsweise unter Einsatz der Delphi- oder Szenariomethode und benötigen erfahrene Zukunftsforscher? An dieser Stelle helfe ich in Form von Prozessberatung oder methodischer Durchführung. Erfahren Sie mehr über meinen Forschungsansatz.
- Coaching: Einzel- oder Gruppengespräche, um Sie besser mit den Grundlagen der Zukunftsforschung sowie den diversen Mehrwerten für sich und Ihr Unternehmen vertraut zu machen.
Schreiben Sie mir einfach eine Mail und wir finden eine Lösung.
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Vieles aus diesen Einschätzungen habe ich auch im EU Strategic Foresight Report 2020 gelesen. Diese Lektüre möchte ich Ihnen gern ans Herz legen.








